Beichte eines Verfuehrers
befreien muss, bevor er mich ruft. Und er gibt dann immer zurück, dass er eine Sonnenbrille tragen muss, wenn ich komme, weil mein Outfit so grässlich ist.
Ich mag Joe sehr. Und ich bin mir sicher, er mag mich auch. Er sieht wirklich verdammt gut aus, ist zwar ein Anzugträger, aber er hat einen tollen Humor, und das ist selten, verglichen mit seinen Mitarbeitern. Einmal hat er einen Donut für mich aufgehoben. Manchmal bringe ich ihm dafür einen Bagel mit Frischkäse und Räucherlachs aus dem Deli mit.
Es ist eine gute Arbeitsbeziehung, aber mehr auch nicht. Bis zu dem Tag, als ich in sein Büro komme und er an seinem Schreibtisch sitzt. Sein Gesichtsausdruck ist so starrend, dass ich glaube, er will mit seinem Blick Löcher in den Computerbildschirm brennen.
„Es ist nur ein Virus“, beruhige ich ihn, nachdem ich den Scan durchgeführt und seine Festplatte von dem Virus befreit habe. „Das halbe Bürogebäude hat ihn.“
Es wirft ihn in seiner Arbeit einen kompletten Tag zurück, erklärt er, und ich versichere ihm, dass ich das Problem in Nullkommanichts behoben habe.
„Wenn du das schaffst, lade ich dich heute Abend zum Essen ein“, sagt Joe.
Wir haben schon vorher geflirtet. Ich flirte mit beinahe jedem. Es ist für mich bedeutungslos. Aber das hier … nun, diesmal bin ich versucht, ein bisschen zusätzlichen Charme spielen zu lassen. Für mich ist es ganz offensichtlich – das ist es schon seit Monaten – dass Joe eine Frau braucht, die sich um ihn kümmert. Ich meine jetzt nicht nur Sex, ich bin mir sicher, er hat mehr als genug Angebote. Nein, ich denke, Joe braucht einfach eine Frau, die ihn abends beim Heimkommen fragt, wie sein Tag war, die ihm ein Bad einlässt und eine Suppe kocht. Joe braucht einfach ein kuscheliges Nest, und darin bin ich gut. Aber ich kann ihm das natürlich nicht ins Blaue hinein anbieten. Ich sage mir selbst immer, dass er so geknickt ist, weil sein Computer abgestürzt ist. Aber auch die letzten Male, wenn ich bei ihm war, wirkte er deprimiert. Die Wahrheit ist: Joe ist schön. Er hat perfekte Gesichtszüge, und ich hätte nicht übel Lust, ihn zu zeichnen.
Er ist überrascht, als ich ihm das beim Abendessen sage. Ich habe nur fünfzehn Minuten gebraucht, um seinen Computer wieder zum Laufen zu bringen und er hat Wort gehalten.
„Ich wusste gar nicht, dass du eine Künstlerin bist.“
„Ich bin auch keine. Die Kunst ist für mich einfach nur ein wunderbares Hobby, mehr nicht.“
„Du musst nicht deinen Lebensunterhalt damit verdienen, um Künstlerin zu sein.“ Joe lehnt sich über den Tisch und blickt mich an.
Ich spüre seinen Blick am ganzen Körper, als würde er mich mit einer Bettdecke zudecken. Das hier ist nicht meine Liga. Wir haben in den letzten sechs Monaten zwar immer wieder geflirtet, aber es war nur ein Spiel. Diese Art zu flirten ist ernsthafter, und wir haben beide nie einen Gedanken daran verschwendet, dass aus dem Spiel Ernst werden könnte.
„Also gut“, sage ich, als wir den köstlichen Nachtisch teilen – einen Käsekuchen. Wir teilen nicht, weil ich eins von den Mädchen bin, die krampfhaft auf ihre Linie achten, sondern eher, weil wir beide so viel gegessen haben, dass wir gerade noch ein halbes Stück Kuchen schaffen. „Wenn du deine Lebenszeit nicht in der Kanzlei verschwendest – was machst du in deiner Freizeit?“
Er möchte Kaffee und ich bestelle mir ein Glas Tee. Er gibt Zucker und Sahne in seine Tasse. Ich beobachte, wie die schwarze Flüssigkeit sich zu einem Hellbraun verfärbt, während er mit dem Löffel umrührt. Erst denke ich, dass er mir nicht antwortet, aber dann tut er’s doch.
„Ich lese gerne.“
„Sag das nicht so, als wenn du dich dafür schämst. Du meinst doch sicher was anderes als Pornoseiten im Internet?“, necke ich ihn.
Er lacht. Joe hat ein tolles Lachen und auch ein bezauberndes Lächeln. Ich meine nicht dieses schiefe Grinsen, sondern das ehrliche Lächeln.
„Ja, es gibt für mich etwas anderes neben Pornos.“
Schon stecken wir in einer tollen Diskussion über Literatur, ob nun Klassiker oder Unterhaltung. Ich gestehe ihm meine Schwäche für humorvolle Fantasy wie die von Terry Pratchett. Joe mag besonders Mystery-Thriller und Krimis, weil er die Herausforderung liebt, vor dem Ende herauszufinden, wer der Mörder ist.
Wir sind mit dem Essen fertig und man wirft uns schon vielsagende Blicke zu, damit wir endlich den Tisch räumen. Also trinken wir aus, essen die letzten Reste vom
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