Beiß mich, wenn du dich traust
Sie schluckt hörbar. »Und überhaupt, was wird Jayden denken? Ich habe ihm versprochen, dass wir Freunde bleiben. Er wird glauben, dass das nur ein Spruch war, um ihn loszuwerden.«
Ich kaue auf meinen Lippen. Obwohl ich kein Fan von diesem hysterischen Dreiecks Liebesme-lodram bin, das sie da aufführt, muss ich doch zugeben, dass sie nicht ganz unrecht hat. Schließ-
lich verfügt nur Slayer Inc. zurzeit über die GPS-Koordinaten unseres Aufenthaltsortes. Und sie werden dem nächsten Vampirzirkel in ihrer Nähe wohl kaum die geheime Lage ihrer Vampirkiller-schule verraten, selbst wenn wir sie nett darum bitten.
Das erinnert mich an meinen eigenen unsterblichen Gefährten. Was wird Jareth denken, wenn er nächste Woche von seiner Dienstreise zur Pflege internationaler Vampirbeziehungen zurückkommt und feststellen muss, dass meine ganze Familie spurlos verschwunden ist? Er wird sich ausrechnen, dass etwas nicht stimmt; immerhin ist er der General des Blutzirkels. Wird er seine Truppen zu einer weltweiten Suche ausschicken? Mein Gesicht auf einen Blut-Tetra-pak drucken lassen? Was ist, wenn ihm das Warten auf meine Rückkehr zu langweilig wird und er beschließt, sich eine andere Blutsgefährtin zu suchen?
Ich schüttele den Kopf, weil ich nicht daran denken will, und wende mich widerstrebend wieder meiner Schwester zu. »Wie soll ich ein Jahr ohne Magnus überleben?«, heult sie. »Ich könnte ebenso gut sterben.«
Seufz. Im Ernst, wenn Sunny diese Geschichte hier erzählen würde, wären jetzt gerade wahrscheinlich nur viele leere Seiten zu sehen wie in »Bis(s) zur Mittagsstunde«, nachdem Edward Bella verlassen hatte.
»Darf ich dich daran erinnern, liebstes Schwesterlein«, sage ich und stehe von ihrem Bett auf, »dass du noch vor zwei Tagen mit deinem kleinen Vampirfreund Schluss machen wolltest, weil er mit einer anderen Tussi eine Blutsverbindung eingehen wollte? Und jetzt willst du mir weismachen, dein Leben wäre ohne ihn sinnlos und leer?« Ich schüttele den Kopf.
»Komm schon, Sun, sogar du müsstest mehr Rückgrat haben!«
Sunny öffnet den Mund zu einem Gegenangriff -
oder vielleicht auch, um wieder loszuheulen -, aber ein Klopfen an der Tür kommt ihr zuvor. Ich drehe mich nervös um. Wer kann das sein? Böse Elfen, die uns an den Kragen wollen? Oder nur weitere Umzugshelfer?
Es klopft erneut. »Sunshine? Rayne?«
Ich schnappe mir eine Schachtel Kleenex von der Kommode und werfe sie in Sunnys Richtung.
Muss ja nicht sein, dass der Besuch, wer es auch ist, sie so tränenüberströmt sieht. »Herein«, sage ich.
Die schwere Tür öffnet sich knarrend und ein Mädchen mit lockigen orangefarbenen Haaren späht herein. Verwundert mustere ich sie von oben bis unten. Ich könnte schwören, dass ich sie schon mal gesehen habe, obwohl ich mich garantiert an diese Frisur erinnern würde.
»Hey, Leute!«, ruft sie mit einem Enthusiasmus, der mich befürchten lässt, dass sie als Nächstes anfangen wird, eine mitreißende Version von Yesterday zu schmettern. Nicht gerade die Sorte Mädchen, in der man eine zukünftige Jägerin vermuten würde. Andererseits haben diese Leute auch XXL-Berta angeworben, weshalb ihr Aus-wahlverfahren mir schon immer ein wenig suspekt war.
»Ich bin Lilli! Willkommen in Achtal! Oder, wie wir sagen, in der Killerschule! Es ist so toll, euch hier zu haben! Wir haben nämlich sonst keine Zwillinge! Ihr seid die ersten!«
(Falls ihr euch wundert - sie redet tatsächlich nur mit Ausrufezeichen. Was, wie ich bemerke, meiner tief deprimierten Schwester ziemlich auf die Nerven geht. Und mir übrigens auch.) »Wow, abgesehen von eurer Haarfarbe seid ihr echt total identisch, was?! Das ist ja toll! Tauscht ihr manchmal die Rollen?! Zum Beispiel bei Dates mit euren Freunden!?«
Prompt bricht Sunny wieder in Tränen aus und vergräbt ihren Kopf unter ihrem Kissen. Ich verdrehe innerlich die Augen. Na toll. Sie hat das F-Wort gesagt.
»Ist sie okay?!«, fragt Lilli mich mit einem besorgten Blick auf meine trübsalblasende Schwester. »Habe ich etwas Falsches gesagt?!«
»Nein, es geht ihr gut.« Ich kicke die Wölbung unter der Decke, die der Hintern meiner Schwester sein müsste. » Stimmt's , Sunny?« Ich will nicht, dass wir gleich an unserem ersten Tag hier als heulsusige Emozicken abgestempelt werden. »Sie braucht nur ein bisschen Zeit zum Eingewöhnen.«
»Oh mein Gott, das verstehe ich total!«, kreischt Lilli und wirft Sunny einen mitfühlenden Blick zu. »Ich hatte
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