Bekehrung: Ein Eifel-Krimi (Eifelkrimis) (German Edition)
Gudrun gesagt hat, aber auch nicht wirklich freundlich. Eher grimmig. Wahrscheinlich ist die feine Dame das Warten nicht gewohnt. Eine Verspätung aber darf man bei dieser entfesselten Naturgewalt in der Schnee-Eifel, kurz Schneifel genannt, niemandem als böse Absicht auslegen.
»Ihre Begleitung wird schon noch kommen«, springe ich für die unbekannte Verabredung in die Bresche, »wird nur was dauern. Die Straßen sind nahezu unbefahrbar.«
Da auch diese Bemerkung kommentarlos hingenommen wird, begebe ich mich in die Küche.
»Hast du das gesehen?«, begrüßt mich Gudrun aufgeregt, »die trägt bei Tisch sogar lange Handschuhe – ganz dünne glänzende, aus Seide, glaube ich.«
»Was hat sie bestellt?«
Gudrun deutet auf den Herd, wo etwas leise köchelt. Ich hebe den Deckel vom Topf und schüttele ratlos den Kopf.
»Genau«, sagt Gudrun. »Aber sie hat auf der Karte ausdrücklich auf den Lapacho getippt.«
»Was?! Hast du ihr gesagt, dass es ewig dauert, bis dieser Indianertee fertig ist?«
Gudrun nickt.
»Aufkochen, fünf Minuten köcheln und eine Viertelstunde lang ziehen lassen«, referiert sie.
»Und sonst hat sie nichts bestellt? Nicht einmal ein Wasser?«
Gudrun schüttelt den Kopf.
»Aber ich habe trotzdem schon mal den teuersten Champagner kalt gestellt. Für wenn der Mann kommt. Die meisten Männer mögen doch den Indianertee nicht. Wie David …« In ihren Augen quellen Tränen, wie immer, wenn sie den Namen ihres einstigen Geliebten ausspricht. David hat den gegen alle erdenklichen Gebrechen wirkenden Tee aus Lapachobaumrinde immer dankend abgelehnt. Und zwar aus gesundheitlichen Gründen, wie er behauptete. Bei Lapacho müsse er nämlich immer an all die vielen Krankheiten denken, die er noch kriegen könnte und durch die negative Kraft dieser Gedanken dann bestimmt auch kriegen würde.
»Hat die Frau irgendwas gesagt?«
»Nee. Sie sitzt nur da und wartet.«
»Dann werde ich mich mal mit ihr unterhalten.«
Ich arrangiere auf einem Tablett eine kleine Auswahl an Spirituosen, Cognac, Armagnac, Whisky und Rum und nähere mich damit dem ersten doppelfädigen Kaschmirkleid, das dieses Restaurant je gesehen hat. Mit meinem gewinnendsten Lächeln stelle ich das Tablett neben der leicht aufgeklappten Handtasche auf dem Tisch ab.
»Vielleicht möchten Sie Ihren Indianertee mit einem kleinen Schuss verfeinern?«
Die Frau lächelt weiter ihr unbestimmbar grimmiges Lächeln. Sie tut nicht einmal so, als nähme sie mich wahr. Doch so schnell lasse ich mich nicht abschütteln. »Ein Bourbon vom gleichen Kontinent wie der Tee? Armagnac kann ich durchaus auch empfehlen. Oder Rum, aber dann natürlich nur vom Feinsten, mindestens sieben Jahre im edlen Holzfass gereift. Nicht das billige Zeugs, womit sich die meisten Leute den Tee ruinieren.«
Mit den meisten Leuten hat diese perfekt geschminkte Frau nichts zu tun. Jedenfalls nicht mit denen, die im echten Leben herumlaufen.
Sie sieht genauso aus wie das Mädchen auf dem Cover der Fernsehzeitschrift, neben dem jede Woche erstaunlicherweise ein anderer Name steht. Den kann ich mir merken, das abgedruckte Gesicht dazu nicht, da sich nichts Bemerkenswertes aus der retuschierten Makellosigkeit hervorhebt. Selbst bekannten Schauspielerinnen fehlen auf diesen Fotos jegliche charakteristische, unverwechselbare Merkmale. Alles Markante ist gleichmäßig glatt gebügelt. Wie bei der konturlos schönen Frau, die da so seltsam lächelnd vor mir sitzt. Sie scheint einem 3-D-Bildprogramm entsprungen zu sein. Offensichtlich hat hier ein ehrgeiziger Schönheitschirurg sein Meisterstück in ästhetischer Vollkommenheit ablegen wollen. Herausgekommen ist dabei ein Gesicht, das man wie einen perfekten Kreis bestaunt; eine Demonstration großen inhaltsleeren Könnens. Da die Frau Handschuhe trägt und ihr Hals unter einem Seidenschal versteckt ist, kann ich ihr Alter nicht einmal annähernd schätzen. Vielleicht ist sie unter dreißig. Oder sechzig. Oder irgendetwas dazwischen.
»Keinen Schuss?«
Sie würdigt mich immer noch keines Wortes, sondern nur einer ungeduldigen Handbewegung. Fort, fort. Mit mir und dem Alkohol. Das Lächeln bleibt festgeklebt.
Auf dem Weg in die Küche halte ich das Tablett noch in der Hand, als die Tür aufgeht.
Ein Mann tritt ein. An der Tür stampft er Schnee von den Stiefeln, zieht die dicke Daunenjacke aus, hängt sie achtlos an den Haken neben den Burberry und stopft eine Wollmütze darüber. Der etwa Sechzigjährige ist sehr
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