Bekenntnisse Des Hochstaplers Felix Krul
fast stets zur Vollkommenheit gelang. Die untere Hälfte des E nämlich lud weit zu gefälligem Schwunge aus, in dessen offenen Schoß die kurze Silbe des Nachnamens sauber eingetragen wurde. Von oben her aber, den U-Haken zum Anlaß und Ausgang nehmend und alles von vorn umfassend, gesellte sich ein zweiter Schnörkel hinzu, welcher den E-Schwung zweimal schnitt und, gleich diesem von Zierpunkten flankiert, in zügiger S-Form nach unten verlief. Die ganze Figur war höher als breit, barock und kindlich von Erfindung und eben deshalb so vortrefflich zur Nachahmnung geeignet, daß der Urheber selbst meine Produkte als von seiner Hand würde anerkannt haben. Welcher Gedanke aber lag näher als der, eine Fertigkeit, in der ich mich anfangs nur zu meiner Zerstreuung geübt hatte, in den Dienst meiner geistigen Freiheit zu stellen? »Mein Sohn Felix«, schrieb ich, »war am 7ten currentis durch quälendes Bauchgrimmen genötigt, dem Unterricht fernzubleiben, was mit Bedauern bescheinigt – E. Krull.« Oder auch etwa: »Eine eitrige Geschwulst am Zahnfleisch sowie die Verstauchung des rechten Armes waren schuld, daß Felix vom 0.-4. hujus das Zimmer hüten und zu unserem Leidwesen vom Besuche der Lehranstalt absehen mußte. Es zeichnet mit Hochachtung – E. Krull.« War dies gelungen, so hinderte nichts mich mehr, die Schulstunden eines Tages oder mehrerer frei schweifend in der weiteren Umgebung des Städtchens zu verbringen, auf grünem Anger, im Schatten der flüsternden Blätter hingestreckt, den eigenartigen Gedanken meines jungen Herzens nachzuhängen, zwischen dem malerischen Gemäuer der rheinwärts gelegenen, weiland erzbischöflichen Burg verborgen, die Stunden zu verträumen, oder auch wohl, zur rauhen Winterszeit, in der Werkstatt meines Paten Schimmelpreester Zuflucht zu suchen, der mich zwar meiner Praktik halber mit Scheltnamen belegte, aber doch mit einer Betonung, die anzeigte, daß er meine Beweggründe zu ehren wisse. Zwischendurch aber geschah es nicht selten, daß ich an Schultagen für krank zu Hause und im Bett blieb, und zwar, wie ich schon zu verstehen gab, nicht ohne innere Berechtigung. Nach meiner Teorie wird jede Täuschung, der keinerlei höhere Wahrheit zugrunde liegt und die nichts ist als bare Lüge, plump, unvollkommen und für den erstbesten durchschaubar sein. Nur der Betrug hat Aussicht auf Erfolg und lebensvolle Wirkung unter den Menschen, der den Namen des Betrugs nicht durchaus verdient, sondern nichts ist als die Ausstattung einer lebendigen, aber nicht völlig ins Reich des Wirklichen eingetretenen Wahrheit mit denjenigen materiellen Merkmalen, deren sie bedarf, um von der Welt erkannt und gewürdigt zu werden. Ein wohlschaffener Knabe, dem es, von leicht verlaufenen Kinderkrankheiten abgesehen, nie ernstlich am Leibe fehlte, übte ich gleichwohl nicht grobe Verstellung, wenn ich mich eines Morgens entschloß, den Tag, der mir mit Angst und Bedrückung drohte, als Patient zu verbringen. Wozu denn auch wohl hätte ich mich dieser Mühe unterziehen sollen, da ich mich doch im Besitz eines Mittels wußte, die Macht meiner geistigen Zwingherren beliebig lahmzulegen? Nein, jene oben gekennzeichnete, bis zum Schmerzhaften gesteigerte Schwellung und Spannung, die sich, ein Erzeugnis gewisser Gedankengänge, damals so oft meiner Natur bemächtigte, brachte, zusammen mit meinem Abscheu vor den Mißhelligkeiten der Tagesfron, einen Zustand hervor, der meinen Vorspiegelungen einen Grund von solider Wahrheit verlieh und mir zwanglos die Ausdrucksmittel an die Hand gab, die nötig waren, um Arzt und Hausgenossen zu Besorgnis und Schonung zu stimmen.
Ich begann mit der Darstellung meines Befindens nicht erst vor Zuschauern, sondern bereits für mich allein, sobald der Entschluß, an diesem Tage mir selbst und der Freiheit zu gehören, ganz einfach durch den Gang der Minuten zur unabänderlichen Notwendigkeit geworden war. Der äußerste Zeitpunkt des Aufstehens war grüblerisch verpaßt, im Eßzimmer erkaltete das von der Magd bereitgestellte Frühstück, die stumpfe Jugend des Städtchens trottete zur Schule, der Alltag hatte begonnen, und es stand fest, daß ich mich allein und auf eigene Hand von seiner despotischen Ordnung ausschließen würde. Die Kühnheit meiner Lage ergriff mein Herz und meinen Magen mit banger Erregung. Ich stellte fest, daß meine Fingernägel eine bläuliche Färbung zeigten. Vielleicht war es kalt an einem solchen Morgen, und ich brauchte meinen
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