Bekenntnisse Des Hochstaplers Felix Krul
Bekehrte? – Welche Schicksalswende nun aber! Welcher Wandel des Glücks!
Zouzou warf jäh den Kopf zur Seite, riß sich aus unsrer Umarmung. Vor Busch und Bank – vor uns – stand ihre Mutter. Stumm, gleichwie auf die eben noch innig vereinten Lippen geschlagen, blickten wir auf zu der Hehren, neben deren großem und südbleichem Antlitz, mit dem strengen Munde, den gespannten Nüstern, den verdüsterten Brauen, die Gagatgehänge schaukelten. Vielmehr: nur ich blickte auf zu ihr; Zouzou drückte das Kinn auf die Brust und bearbeitete mit ihrem kleinen Faustgetrommel nunmehr die Bank, auf der wir saßen. Mir aber glaube man, daß ich weniger entgeistert war von der mütterlichen Erscheinung, als man hätte denken sollen. Schien sie mir doch, obgleich so unverhofft, voller Notwendigkeit, wie herbeigerufen, und in meine natürliche Verwirrung mischte sich Freude.
»Madame«, sprach ich formell, indem ich mich erhob. »Ich bedaure die Störung Ihrer Nachmittagsruhe. Dies hier geschah und vollzog sich wie von ungefähr und in aller Dezenz …«
»Schweigen Sie!« gebot die Herrin mit ihrer wundervoll sonoren, leicht südheiseren Stimme. Und gegen Zouzou gewandt:
»Suzanna, du gehst auf dein Zimmer und bleibst dort, bis man dich ruft.« – Dann zu mir: »Marquis, ich habe mit Ihnen zu reden. Folgen Sie mir!«
Zouzou lief über den Rasen davon, der offenbar auch die nahenden Schritte der Senhora gedämpft hatte. Jetzt schlug diese den Kiesweg ein, und, aufs Wort gehorsam, »folgte« ich ihr, das heißt: hielt mich nicht an ihrer Seite, sondern ein wenig schräg hinter ihr. So ging es ins Haus und in den Salon, von dem eine Tür ja ins Speisezimmer führte. Hinter der entgegengesetzten, nicht ganz geschlossenen, schien ein intimerer Raum zu liegen. Die Hand der Gestrengen zog sie zu.
Ich begegnete ihrem Blick. Sie war nicht hübsch, aber sehr schön.
»Luiz«, sagte sie, »das Nächstliegende wäre, Sie zu fragen, ob dies Ihre Art ist, portugiesische Gastfreundschaft zu lohnen – Schweigen Sie! Ich erspare mir die Frage und Ihnen die Antwort. Ich habe Sie nicht hierher befohlen, um Ihnen Gelegenheit zu törichten Entschuldigungen zu geben. Sie würden vergebens versuchen, die Torheit Ihrer Handlungen damit zu übertreffen. Die ist unüberbietbar, und alles, was Ihnen nun bleibt, Ihnen einzig zukommt, ist, zu schweigen und es reiferen Personen zu überlassen, Ihre Sache zu führen – Sie auf den rechten Weg zu führen, hinweg von dem Wege unverantwortlicher Kinderei, den Sie jugendlich genug waren einzuschlagen. Es hat wohl selten zu heilloserer Kinderei und ärgerem Unsinn geführt, daß Jugend sich zu Jugend gesellte. Was dachten Sie sich? Was wollen Sie mit diesem Kinde? Dankvergessenerweise tragen Sie Unsinn und Verwirrung in ein Haus, das sich Ihnen um Ihrer Geburt und sonstiger annehmbarer Eigenschaften willen gastlich öffnete und in dem Ordnung, Vernunft und feste Pläne herrschen. Suzanna wird über kurz oder lang, wahrscheinlich binnen kurzem, die Gattin Dom Miguels, des verdienten Assistenten Dom Antonio José‘s werden, dessen maßgebender Wunsch und Wille es ist. Ermessen Sie danach, welch eine Torheit Ihr Liebesbedürfnis beging, als es den Weg der Kinderei wählte und sich darauf kaprizierte, das Köpfchen eines Kindes zu verwirren. Das hieß nicht wie ein Mann wählen und handeln, sondern wie ein Kindskopf. Reife Vernunft hatte dazwischenzutreten, bevor es zu spät war. Sie haben mir einmal, im Laufe einer Konversation, von der Güte der Reife gesprochen, von der Güte, mit der sie den Namen der Jugend nennt. Ihr mit Glück zu begegnen bedarf es freilich des Mannesmutes. Ließe annehmbare Jugend diesen Mannesmut blicken, statt in der Kinderei ihr Heil zu suchen, – sie brauchte nicht wie ein begossener Pudel abzuziehen, nicht ungetröstet das Weite zu suchen …«
»Maria!« rief ich. Und:
»Hole! Heho! Ahé!« rief sie mit mächtigem Jubel. Ein Wirbelsturm urtümlicher Kräfte trug mich ins Reich der Wonne. Und hoch, stürmischer als beim iberischen Blutspiel, sah ich unter meinen glühenden Zärtlichkeiten den königlichen Busen wogen.
3
Bereits 90 begonnen, sind die ›Bekenntnisse des Hochstaplers Felix Krull‹ dennoch Tomas Manns letzter Roman geblieben. Zwar hatte er 922 das Erste Buch als ›Buch der Kindheit‹ und 937 eine um ein Zweites Buch erweiterte Fassung herausgegeben, endgültig aber erschien »Der
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