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Bekenntnisse Des Hochstaplers Felix Krul

Bekenntnisse Des Hochstaplers Felix Krul

Titel: Bekenntnisse Des Hochstaplers Felix Krul Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Mann
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die Busen ihm entgegen, daß die Atlastaillen der Frauen in den Nähten krachten. Ja, diese ganze beschattete Versammlung glich einem ungeheuren Schwarme von nächtlichen Insekten, der sich stumm, blind und selig in eine strahlende Flamme stürzt.
       Mein Vater unterhielt sich königlich. Er hatte nach französischer Sitte Hut und Stock mit in den Saal genommen. Jenen setzte er auf, sobald der Vorhang gefallen war, und mit diesem beteiligte er sich an dem frenetischen Applaus, indem er laut und andauernd damit auf den Boden stieß. »C’est épatant!« sagte er mehrmals ganz schwach und hingenommen. Allein nach Schluß der Vorstellung, draußen auf dem Gange, als alles vorüber war und um uns her die berauschten und innerlich gesteigerten Kommis in der Art, wie sie gingen, sprachen, ihre roten Hände betrachteten und ihre Stöcke handhabten, den Helden des Abends nachzuahmen suchten, sagte mein Vater zu mir: »Komm mit, wir wollen ihm doch die Hand schütteln. Gott, als ob wir nicht genaue Bekannte wären, Müller und ich! Er wird enchantiert sein, mich wiederzusehen!« Und nachdem er unseren Damen befohlen hatte, in der Vorhalle auf uns zu warten, brachen wir wirklich auf, um Müller-Rosé zu begrüßen.
       Unser Weg führte uns durch die zunächst der Bühne gelegene und schon finstere Loge des Teaterdirektors, von wo wir durch eine schmale Eisentür hinter die Kulissen gelangten. Das Halbdunkel des Schauplatzes war spukhaft belebt von räumenden Arbeitern. Eine kleine Person in roter Livree, die im Stücke einen Liftjungen dargestellt hatte und in irgendwelche Gedanken versunken mit der Schulter an der Wand lehnte, kniff mein armer Vater scherzend dort, wo sie am breitesten war, und fragte sie nach der gesuchten Garderobe, worauf sie uns übellaunig die Richtung wies. Wir durchmaßen einen getünchten Gang, in dessen eingeschlossener Luft offene Gasflammen brannten. Schimpfen, Lachen und Schwatzen drang durch mehrere Türen, die auf den Korridor mündeten, und mein Vater machte mich heiter lächelnd mit dem Daumen auf diese Lebensäußerungen aufmerksam. Aber wir schritten weiter bis zur letzten, an der unteren Schmalseite des Ganges gelegenen Tür, und dort klopfte mein Vater, indem er sein Ohr zu dem pochenden Knöchel hinabbeugte. Man antwortete drinnen: »Wer da?« oder »Was, zum Deibel!« Ich erinnere mich nicht genau des hellen, aber unwirschen Anrufs. »Darf man eintreten?« fragte mein Vater; worauf es antwortete, daß man vielmehr etwas anderes, in diesen Blättern nicht Wiederzugebendes tun dürfe. Mein Vater lächelte still und verschämt und versetzte: »Müller, ich bin es – Krull, Engelbert Krull. Man wird Ihnen doch wohl noch die Hand schütteln dürfen!« Da lachte es drinnen und sprach: »Ach, du bist es, altes Sumpfhuhn! Na, immer rein ins Vergnügen! – Sie werden ja wohl«, hieß es weiter, als wir zwischen Tür und Angel standen, »nicht Schaden nehmen durch meine Blöße.« Wir traten ein, und ein Anblick von unvergeßlicher Widerlichkeit bot sich dem Knaben dar.
    Art einem schmutzigen Tisch und vor einem staubigen und beklecksten Spiegel saß Müller-Rosé, nichts weiter am Leibe als eine Unterhose aus grauem Trikot. Ein Mann in Hemdärmeln bearbeitete des Sängers Rücken, der in Schweiß gebadet schien, mit einem Handtuch, indes er selber Gesicht und Hals, die dick mit glänzender Salbe beschmiert waren, vermittels eines weiteren, von farbigem Fett schon starrenden Tuches abzureiben beschäftigt war. Die eine Hälfte seines Gesichtes war noch bedeckt mit jener rosigen Schicht, die sein Antlitz vorhin so wächsern idealistisch hatte erscheinen lassen, jetzt aber lächerlich rotgelb gegen die käsige Fahlheit der anderen, schon entfärbten Gesichtshälfte abstach. Da er die schön kastanienbraune Perücke mit durchgezogenem Scheitel, die er als Attaché getragen, abgelegt hatte, erkannte ich, daß er rothaarig war. Noch war sein eines Auge schwarz ummalt, und metallisch schwarz glänzender Staub haftete in den Wimpern, indes das andere nackt, wässerig, frech und vom Reiben entzündet den Besuchern entgegenblinzelte. Das alles jedoch hätte hingehen mögen, wenn nicht Brust, Schultern, Rücken und Oberarme Müller-Rosé‘s mit Pickeln besät gewesen wären. Es waren abscheuliche Pickel, rot umrändert, mit Eiterköpfen versehen, auch blutend zum Teil, und noch heute kann ich mich bei dem Gedanken daran eines Schauders nicht erwehren. Unsere Fähigkeit zum Ekel ist, wie ich

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