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Bekenntnisse Des Hochstaplers Felix Krul

Bekenntnisse Des Hochstaplers Felix Krul

Titel: Bekenntnisse Des Hochstaplers Felix Krul Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Mann
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Körper nur ein paar Minuten lang bei entfernter Decke der Zimmertemperatur auszusetzen, ja brauchte mich eigentlich nur ein wenig gehenzulassen und abzuspannen, um den eindrucksvollsten Anfall von Schüttelfrost und Zähneklappern herbeizuführen. Was ich da sage, ist bezeichnend für meine Natur, die von jeher im tiefsten Grunde leidend und pflegebedürftig war, so daß alles, was mein Leben an tätiger Wirksamkeit aufweist, als ein Produkt der Selbstüberwindung, ja als eine sittliche Leistung von hohem Range zu würdigen ist. Wäre dem anders, so hätte nicht damals wie später eine willkürliche Abspannung des Körpers und der Seele genügt, um mir das überzeugende Ansehen eines Kranken zu geben und so meine Umgebung, wenn es darauf ankam, zu Milde und Menschlichkeit anzuhalten. Krankheit wahrhaft vorzutäuschen wird dem Vierschrötigen kaum gelingen. Wer aber, um mich dieser anschaulichen Wendung auch hier zu bedienen, aus feinem Holz geschnitzt ist, wird stets, auch ohne je in roherem Sinne krank zu sein, mit dem Leiden auf vertrautem Fuße leben und seine Merkmale durch innere Anschauung beherrschen. Ich schloß die Augen und öffnete sie hierauf überweit, indem ich sie mit einem fragenden und klagenden Ausdruck erfüllte. Ohne eines Spiegels zu bedürfen, war ich mir bewußt, daß meine Haare mir vom Schlafe verwirrt und strähnig in die Stirne fielen und daß die Spannung und Erregung des Augenblicks mein Antlitz bleich erscheinen ließ. Damit es auch eingefallen aussähe, schlug ich ein selbständig gefundenes und erprobtes Verfahren ein, welches darin bestand, daß ich das innere Wangenfleisch leicht und fast unmerklich zwischen die Zähne zog, wodurch eine Aushöhlung der Wangen, eine Verlängerung des Kinnes und damit der Anschein einer über Nacht erfolgten Abmagerung erzielt wurde. Ein empfindliches Vibrieren der Nasenflügel sowie ein häufiges, gleichsam schmerzliches Zusammenziehen der Muskeln an den äußeren Augenwinkeln taten das Ihre. Ich faltete meine Finger mit den bläulichen Nägeln über der Brust, und so, mein Waschbecken neben mir auf einem Stuhle und von Zeit zu Zeit mit den Zähnen klappernd, erwartete ich den Augenblick, da man sich nach mir umsehen würde.
       Das geschah spät, denn meine Eltern liebten den Morgenschlummer, und bis man bemerkte, daß ich das Haus nicht verlassen hatte, waren zwei oder drei Schulstunden verflossen. Dann kam meine Mutter die Treppe herauf und trat in mein Zimmer, indem sie mich fragte, ob ich krank sei. Ich blickte sie groß und sonderbar an, als falle es mir schwer, sie zu erkennen, oder als wäre mir überhaupt die Lage nicht völlig deutlich. Ich antwortete: Ja, ich glaubte, daß ich wohl krank sein müsse. – Was mir denn fehle, fragte sie. – »Kopf… Gliederschmerzen … Warum friert es mich so?« antwortete ich eintönig und gleichsam mit gelähmten Lippen, indem ich mich unruhig von einer Seite auf die andere warf. Meine Mutter fühlte Mitleid. Daß sie mein Leiden eigentlich ernst nahm, glaube ich nicht; aber da ihre Empfindsamkeit bedeutend ihre Vernunft überwog, so brachte sie es nicht über das Herz, sich vom Spiele auszuschließen, sondern ging mit wie im Teater und fing an, mir bei meinen Darbietungen zu sekundieren. »Armes Kind!« sagte sie, indem sie den Zeigefinger an die Wange legte und kümmerlich den Kopf schüttelte. »Und magst du denn gar nichts genießen?« Schaudernd, das Kinn auf die Brust gedrückt, wehrte ich ab. Diese eiserne Folgerichtigkeit meines Verhaltens ernüchterte sie, machte sie ernsthaft stutzig und riß sie sozusagen aus dem Genusse einer vereinbarten Illusion; denn daß man um einer solchen willen auf Speise und Trank verzichten könne, ging über ihre Fassungskraft. Sie prüfte mich aufs neue mit den Augen, wie man die Wirklichkeit prüft. Hatte ihre sachliche Aufmerksamkeit jedoch diesen Punkt erreicht, so ließ ich, um sie zur inneren Entscheidung zu nötigen, die anstrengendste und wirkungsvollste meiner Künste spielen. Jäh richtete ich mich im Bett auf, zog mit zitternden und fliegenden Bewegungen mein Waschbecken heran und warf mich unter so schrecklichen Zuckungen, Verdrehungen und Zusammenziehungen meines ganzen Körpers darüber, daß man ein Herz von Stein hätte haben müssen, um nicht von dem Anblick so großer Not erschüttert zu werden. »Nichts bei mir …«, keuchte ich zwischendurch, indem ich meine saueren und zerquälten Züge vom Gerät erhob. »Nachts alles von mir gegeben

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