Bekentnisse eines möblierten Herren
stemmte die Hände dekorativ in die Hüften.
»Das ist doch die Höhe! Sie wollen also damit sagen, daß Sie in meinem Hause einen Verbrecher bewirten?«
»Ich würde es nicht so kraß formulieren. Mich hat nur — ich weiß nicht, ob Sie das verstehen können — mich hat es interessiert, was sich der junge Mann dabei dachte.« Er deutete auf den Burschen: »Das ist doch kein Verbrecher!«
Alfredo errötete unter seiner Bräune.
»Ich rufe sofort die Funkstreife!«
»Ich würde Ihnen wirklich raten, den jungen Mann erst anzuhören, Sie werden gleich ganz anders denken.« Alfredo schritt zur Tür. Seine Frau stellte sich ihm in den Weg.
»Nicht, Alfredo! Vielleicht hat Herr Dornberg recht.« Der Guterholte blies den Zornesdampf ab.
»Dann laß mich wenigstens meinen Mantel ausziehen und mir die Hände waschen.«
Er ging hinaus. Jetzt erst fand Lukas Gelegenheit, sich Frau Lilly zu widmen. Im Weihnachtsozelot, sanfte Bräune zu dem schwarzen Haar, betrachtete sie den Burschen.
»Sie sehen blendend aus!« lobte Lukas und genoß das dreiste Kompliment angesichts der Lage selbst. Sie lächelte verwirrt.
»Ich muß mich setzen.«
Es dauerte eine Weile, bis Alfredo zurückkam. Er hatte sich gefaßt, setzte sich auf die Tischkante und hörte mit verschränkten Armen gelassen zu. Lukas redete wie ein Jugendpfleger. Frau Müller-Passavant spiegelte ihre Empfindungen, während er sprach. Bis zur Festnahme geängstigt, dann gespannt und schließlich mitleidig, bis sich ihr Gesicht, oh der Nachsicht, die walten zu lassen Lukas vorschlug, zu strahlender Wärme entspannte. Stockend bestätigte der Bursche seine soziale Misere, worauf auch Alfredos Züge mäßiges Mitgefühl erkennen ließen.
Leise öffnete sich die nur angelehnte Tür, zwei Polizeibeamte traten ein. »Guten Abend! So, dann wollen wir ihn gleich mal mitnehmen«, sagten sie, wie behäbige Möbelpacker nach der Mittagspause.
Der Bursche trat dicht neben Lukas. »Sie haben mir doch versprochen...« stammelte er verzweifelt.
Alfredo erhob sich und lächelte süffisant.
»Sie haben es gut gemeint, Herr Dornberg, aber Ordnung muß sein.«
Hilfesuchend drehte sich der Bursche noch einmal zu Lukas um.
»Sagen Sie doch, daß ich gar nichts gestohlen hab’!«
»Ich komme zur Verhandlung!«
Frau Müller-Passavants Augen weiteten sich.
»Das war hinterhältig von dir, Alfredo!«
Wortlos schritt der Getadelte hinaus.
»Er hat die Nerven verloren«, tröstete Lukas. Sein Anliegen meldete sich wieder. Er verabschiedete sich rasch. »Gute Nacht!«
»...noch meinen Kaiser Wilhelm in die Ecke und fertig!« Lukas zog die Reißnägel heraus und hob das Plakat hoch. Frau Müller-Passavant, die vorne am Fenster gesessen und gelesen hatte, drehte den Kopf und starrte, ohne etwas zu sagen, auf das Opus.
»Wie finden Sie es?«
Sie legte das Heft aus der Hand, kam herüber und lehnte sich gegen den großen Zeichentisch.
»Auf die Gefahr hin, daß Sie mich jetzt erschlagen, Lukas, aber mit dem Grün da unten und das Orange in der Mitte... das ist wie unsere Markise... es trifft nicht das Genre. Ich würde es an Ihrer Stelle nochmal machen.«
»Nochmal? Jetzt ist es schon halb zwölf... das kommt ja nie mehr rechtzeitig hin!«
»Der letzte Zug geht vier Uhr zehn, ich habe mich erkundigt. Der Schalter am Telegrafenamt ist die ganze Nacht auf. Ich mache Ihnen einen starken Kaffee, und vor dem Ausmalen reden wir noch mal.«
»Kommt überhaupt nicht in Frage. Das bleibt so, wie es ist.«
»Schön. Ich dachte nur, Sie wollten gewinnen!«
Sie zwang ihn durch Nachgeben. Nicht nur, daß sie ihn auf die Idee gebracht hatte, sich an dem Wettbewerb um den Plakatpreis überhaupt zu beteiligen, daß sie mit ihm diskutiert, daß sie ihn, als er nach über zwanzig Entwürfen resignieren wollte, wieder dazu gebracht hatte, weiterzumachen, dabei nie aufdringlich, immer nur das Ziel vor Augen und genau wissend, wie sie ihn zu nehmen hatte, sondern auch, daß sie jetzt, in der Ballsaison, Einladungen absagte und es vorzog, sich mit ihm ins Atelier zu setzen — er wußte einfach nicht, wie er dazu kam. Er nahm. Doch was gab er ihr? Mehr als er bei der komprimierten Arbeit der letzten Wochen denken konnte. Sie entwickelte ein Gefühl für Farben, das sie sich bislang nie zugetraut hatte und half mit dem nimmermüden Einsatz später Erkenntnis. Und Lukas plagte sich, widerlegte, schimpfte, akzeptierte und fand es herrlich.
»So, der hält Sie wach. Ich hin jetzt auch ganz
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