Bel Ami (German Edition)
zwei Worten geschrieben und das machte Georges mehr Freude als der Orden selbst.
Eine Stunde später, nachdem er diese Nachricht gelesen hatte, erhielt er einen Brief von der Frau Direktor, worin sie ihn bat, denselben Abend noch zum Essen zu kommen, um die Auszeichnung zu feiern. Er zögerte eine Weile, dann warf er den in zweideutigen Ausdrücken geschriebenen Brief ins Feuer und sagte zu Madeleine:
»Wir wollen heute bei Walters essen.«
Sie war überrascht.
»Wieso? Ich dachte, du wolltest ihr Haus nicht mehr betreten.«
Er sagte leise:
»Ich habe es mir anders überlegt.«
Als sie erschienen, saß Frau Walter allein in dem kleinen Louis-XVI-Boudoir, das für den intimeren Verkehr bestimmt war. Sie war in Schwarz gekleidet und hatte ihr Haar gepudert, was ihr sehr gut stand. Von weitem sah sie alt, von nahe jung aus, und wenn man sie genau betrachtete, so wirkte sie wie ein schönes Bild.
»Sind Sie in Trauer?« fragte Madeleine.
Sie antwortete schwermütig:
»Ja und nein. Ich habe niemanden von meinen Angehörigen verloren. Aber ich bin bereits in dem Alter, wo man um sein Leben trauert. Ich habe das Kleid heute angezogen, um es einzuweihen. Fortan werde ich die Trauer in meinem Herzen tragen.«
Du Roy dachte:
»Wie lange wird sie wohl bei dem Entschluß bleiben?«
Das Diner verlief etwas langweilig. Nur Suzanne schwatzte unaufhörlich. Rose schien verstimmt zu sein. Man beglückwünschte den Journalisten.
Abends spazierte man durch die Säle und den Wintergarten und unterhielt sich. Du Roy ging mit der Frau Direktor als letzter; sie hielt ihn am Arm zurück.
»Hören Sie,« sagte sie mit dumpfer Stimme, »ich will nie mehr mit Ihnen darüber reden, niemals. Aber kommen Sie mich besuchen. Sehen Sie, ich duze Sie gar nicht mehr. Es ist mir ganz unmöglich, ohne Sie zu leben, ich kann es nicht! Sie können sich gar nicht vorstellen, was für eine Qual das ist. Ich fühle Sie, ich habe Sie vor meinen Augen, in meinem Herzen, in meinem Fleisch und in meiner Seele, den ganzen Tag und die ganze Nacht hindurch. Mir ist es, als hätten Sie mich ein Gift trinken lassen, das mich nun innerlich verzehrt. Ich halte es nicht mehr aus. Nein, ich kann nicht mehr. Ich will für Sie nur eine alte Frau sein. Ich trage weiße Haare, um es Ihnen zu zeigen, aber kommen Sie zu mir. Kommen Sie von Zeit zu Zeit als Freund des Hauses.«
Sie ergriff seine Hand, preßte sie krampfhaft und drückte ihre Nägel in sein Fleisch.
Er antwortete ruhig:
»Schön. Es ist unnütz, darüber wieder Worte zu verlieren. Sie sehen doch, ich bin heute gleich auf Ihren Brief gekommen.«
Walter ging mit den beiden jungen Mädchen und Madeleine voran und wartete auf Du Roy vor dem Bilde »Jesus über die Fluten schreitend«.
»Stellen Sie sich vor,« sagte er lachend, »ich habe gestern meine Frau hier auf den Knien vor diesem Gemälde vorgefunden, wie in einer Kapelle. Sie betete. Wie ich gelacht habe!«
Madame Walter erwiderte mit fester Stimme, die jedoch einer gewissen zitternden Erregung nicht entbehrte:
»Dieser Christus wird meine Seele retten. Er gibt mir Mut und Kraft jedesmal, wenn ich ihn ansehe.«
Sie blieb vor dem auf dem Meere schreitenden Gott stehen und sagte leise:
»Wie schön ist es, wie diese Männer sich vor ihm fürchten und wie sie ihn lieben. Sehen Sie seine Augen, seinen Kopf, sehen Sie, wie schlicht und doch überirdisch er ist!«
Suzanne rief:
»Aber er hat doch Ähnlichkeit mit Ihnen, Bel-Ami, ich bin sicher, er ist Ihnen ähnlich! Wenn Sie so einen Doppelbart hätten oder wenn er rasiert wäre, dann würdet ihr beide ganz gleich aussehen. Oh, ist das auffällig.«
Sie wollte, daß er sich neben das Bild stellte, und alle erkannten tatsächlich, daß beide Gesichter miteinander Ähnlichkeit hatten.
Alles war überrascht. Walter fand die Sache sehr seltsam. Madeleine meinte lächelnd, daß Jesus männlicher aussehe.
Frau Walter rührte sich nicht, unbeweglich und mit starrem Blick betrachtete sie das Gesicht ihres Geliebten neben dem des Heilands. Sie war fast so weiß geworden wie ihr weißes Haar.
VIII.
In der zweiten Hälfte des Winters ging das Ehepaar Du Roy oft zu den Walters. Georges selbst war sehr häufig dort zu Tisch, während Madeleine erklärte, müde zu sein, und es vorzog, zu Hause zu bleiben. Sein fester Tag war Freitag, und die Frau Direktor lud an diesem Tage nie jemand anders ein. Er gehörte dem Bel-Ami, ihm allein. Nach dem Essen spielte man Karten, fütterte die chinesischen
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