Bélas Sünden
ein sattes Polster für Notzeiten oder den Grundstein für ein besseres Lokal auf der hohen Kante. Es kam darauf an, wie man es sehen wollte. Béla sah das Polster, ich den Grundstein. Das Manuskript meines ersten Romans kam immer noch mit schöner Regelmäßigkeit zurück und wurde, wenn ich die Enttäuschung über die erneute Absage verarbeitet hatte, wieder abgeschickt. Aber irgendwie hatte ich den Glauben verloren, sah meine Zukunft zwar noch am Schreibtisch und meine Sicherheit in den Bierfässern, die Béla pro Woche anschlug. Er schlug inzwischen doppelt so viele an wie zu Beginn. Ich fand unsere Startposition günstig, als ich JA sagte. Auf meinem ersten Buch, wenn es denn jemals gedruckt wurde, sollte Lisa Szabo stehen, das machte sich besser als Lisa Müller. Natürlich war das nicht der Grund. Ich liebte Béla. Manchmal war ich verliebt in ihn wie ein Teenager. Obwohl er immerzu in meiner unmittelbaren Nähe war, bekam ich Herzklopfen, wenn er unvermittelt nach mir rief oder plötzlich in der Tür auftauchte. Oder wenn er mich beim Mittagessen fragte, ob er mich zum Nachtisch ein bisschen füttern solle.
»Eine Stunde, Liska.«
Das war oft wie der erste Abend, hinreißend, atemberaubend, jedes Mal einmalig neu. Es war alles in bester Ordnung. Meine Tochter war fast siebzehn. Und auch wenn es wehtat, dass sie mir so fremd geworden war, ein schlechtes Gewissen ihr gegenüber hatte ich nicht mehr. Dass Jugend auch so kompromisslos sein muss, einmal gesündigt, für immer in Ungnade. Sonja war auf ihre Art ein durchtriebenes Biest. Eine Zeit lang gab sie sich redlich Mühe, mir zu beweisen, dass Béla gegenüber den Reizen anderer Frauen nicht immun geworden war. Als eine solche betrachtete sie sich inzwischen. Da konnte es geschehen, dass sie an unserem Ruhetag nach Hause kam und abends nur mit einem Slip bekleidet im Wohnzimmer erschien, sich zu Béla auf die Couch setzte, oder, damit er eine bessere Aussicht hatte, ihm gegenüber in einen Sessel. Mit ihrer Oberweite konnte ich nicht konkurrieren, Erbteil von Müllers, genauso wie das blonde Haar. Béla versuchte ein paar Minuten lang, konzentriert auf den Bildschirm des Fernsehers oder sonst wohin zu schauen. Dann verlangte er regelmäßig:
»Zieh dir etwas über, Sonja. Das ist zu kalt so.«
»Mach dich doch nicht lächerlich «, widersprach sie.
»Hier drin sind es vierundzwanzig Grad. Es ist viel zu warm, um etwas anzuziehen.«
Béla schickte einen Hilfe suchenden Blick in meine Richtung und schlug die Beine übereinander, damit nicht auffiel, dass ihn der Anblick eines halb nackten und blutjungen Mädchens nicht kalt ließ.
»Liska, sag du ihr bitte, sie muss etwas überziehen. Das geht doch nicht.«
Bevor ich dazu kam, erhob Sonja sich mit triumphierendem Lächeln und schwebte der Tür entgegen.
»Mein Gott, bist du prüde. Tu doch nicht so, als ob dir das unangenehm wäre. Heinz macht auch kein Theater, wenn die Mädchen so in der Wohnung herumlaufen. Marion schläft sogar oft bei ihm im Bett. Das sollte ich mal bei dir versuchen.«
»Die Mädchen sind seine Kinder «, erwiderte Béla. Es klang immer wie eine Entschuldigung und machte mich regelmäßig wütend auf Sonja. Es war widerlich, ihn so zu provozieren. Das sagte ich ihr auch mehrfach, sie grinste und meinte:
»Worüber regst du dich eigentlich auf? Er ist doch praktisch schon mein Stiefvater, und vor seinem Vater wird man sich ja wohl nicht genieren müssen.«
Großes Aufheben machten wir nicht um unsere Hochzeit. Sie fiel natürlich auf einen Mittwoch. Am Vormittag um elf war die Trauung, eine Sache von zehn Minuten, mit Andreas und Werner als Trauzeugen. Mittags führte Béla uns in ein Nobelrestaurant in Köln. Danach saßen wir bei Kaffee und Kuchen mit meinen Eltern, Andreas und Werner, jeweils mit Frau und Kind, der kompletten Familie Böhring und meiner Tochter zusammen. Abends feierten wir allein und richtig. Die Hochzeitsnacht – man müsste sich Erinnerungen in Formen gießen und so festhalten können. Wenn ich da an Karl-Josef dachte, der um eins in der Nacht neben mich ins Bett gefallen war und nicht einmal mehr den Arm hochgebracht hatte, um das Licht auszumachen. Am nächsten Morgen bekam ich um neun das Frühstück ans Bett gebracht und anschließend noch einen kleinen Nachschlag vom köstlichen Menü der Nacht. Dann hatte der Alltag uns wieder. Ein relativ friedlicher Alltag. Hin und wieder bemerkte ein Gast, dass wir neuerdings Ringe an der rechten Hand trugen.
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