Belgarath der Zauberer
lassen konnte. Es gab einen ungenutzten Turm an der Westseite der Festung. Dort war es natürlich kalt und zugig, aber es bedurfte wohl nicht vieler Veränderungen, um ihn bewohnbar zu machen -etwas Mörtel, um die Risse in den Wänden zu fällen, ordentliches Glas in den Fenstern, und der Kamin mußte ausgebessert werden.
Dann seufzte er. Es war ein unerfüllbarer Traum. Er hatte eine Frau und eine Familie, und er mußte ein Königreich regieren. Das Leben als Gelehrter war unerreichbar für ihn. Im Gegensatz zu Aldurs erstem Jünger mußte Garion zugeben, daß er ohnehin keinen guten Gelehrten abgeben würde. Natürlich, mit etwas Zeit – höchstens einige Jahrhunderte…
Dieser Gedanke ließ ihn aufhorchen. Der Text, den er soeben gelesen hatte, ging mit dem Begriff Zeit sehr großzügig um. Für Belgarath den Zauberer waren Jahrhunderte nicht mehr als Jahre für einen normalen Menschen. Er verbrachte fünfundvierzig Jahre damit, Gras zu studieren, und nur die Götter wissen, wieviel Zeit er aufwandte, um herauszufinden, weshalb es Berge und Ebenen gab. Garion erkannte, daß er noch nicht einmal wußte, welche Fragen er stellen sollte, geschweige denn, wie er die Antworten finden konnte. Er wußte allerdings, daß die erste Frage ›Warum?‹ lautete.
Als er diesem Gedanken nachging, nahm er den Brief seines Großvaters zur Hand. Er war nicht sehr lang.
»Garion«, las er. »Seid Ihr nun zufrieden, Du und Durnik? Ihr habt schließlich auf diesem lächerlichen Projekt bestanden? Das ist der Anfang und die Mitte. Das Ende kennst Du ja bereits – wenn man bei solchen Dingen wirklich von einem Ende sprechen kann. Wenn Du eines Tages Zeit hast, dann besuche mich, und wir sprechen darüber. Jetzt werde ich mich wieder meinen Aufzeichnungen über Berge widmen, denke ich. Belgarath.«
Garion schreckte heftig hoch, als die Tür zu seinem Studierzimmer aufgestoßen wurde. »Bist du jetzt endlich fertig?« wollte Ce’Nedra wissen. Obwohl sie nun schon eine geraume Weile verheiratet waren, überraschte es Garion stets aufs neue, wenn er sah, wie winzig seine Frau wirklich war. Wenn er sie nicht bei sich hatte, schien sie vor seinem inneren Auge zu wachsen. Sie war vollkommen, aber sie war sehr, sehr klein. Vielleicht war es ihr flammend rotes Haar, das sie größer erscheinen ließ.
»Ja, Liebes«, sagte er und reichte ihr die letzten Kapitel, die sie ihm begierig aus der Hand nahm.
»Endlich!«
»Du mußt lernen, Geduld zu haben, Ce’Nedra.«
»Garion, ich habe zwei Schwangerschaften hinter mir. Ich weiß alles über Geduld. Jetzt sei still und laß mich lesen.« Sie zog sich einen Stuhl an die Seite seines Schreibpultes, setzte sich und las. Ce’Nedra hatte die beste Erziehung erhalten, die das tolnedrische Kaiserreich zu bieten hatte, doch ihr Gatte war nach wie vor erstaunt, wie schnell sie jeden Text in sich aufnehmen konnte. Sie brauchte nicht mehr als eine halbe Stunde, um zum Ende zu kommen. »Es hört ja gar nicht richtig auf!« platzte sie hervor. »Er hat die Geschichte nicht zu Ende geschrieben!«
»Ich denke, die Geschichte ist auch noch nicht zu Ende, Liebes«, erklärte Garion. »Wir alle wissen jedoch, was auf Faldors Hof geschah; daher dachte Großvater wohl, er müsse das nicht alles auch noch niederschreiben.« Er lehnte sich nachdenklich zurück. »So vieles ist geschehen, das keiner von uns bemerkt hat! Großvater lebte nicht einmal in derselben Welt wie wir alle. Gegen Ende seiner Aufzeichnungen machte er ein paar Anmerkungen darüber. Ich wünschte, ich hätte die Zeit nach Mal Zeth zu reisen und mit Cyradis zu sprechen. Dort draußen gibt es eine andere Welt, von der wir nichts wissen.«
»Aber natürlich, du Einfaltspinsel! Belästige nicht Cyradis damit. Sprich mit Eriond darüber. Um ihn dreht sich doch alles!«
Jetzt ging Garion ein Licht auf. Ce’Nedra hatte recht! Eriond war der Mittelpunkt all dessen gewesen, was sie unternommen hatten! Torak und Zandramas waren Irrtümer gewesen, Eriond hingegen die Wahrheit. So einfach erklärte sich der Streit zwischen den beiden Mächten des Unabänderlichen. Torak war das Ergebnis eines Fehlers. Eriond war die Korrektur dieses Fehlers. Ce’Nedra hatte das wohl instinktiv erkannt. Dem Göttertöter war es irgendwie entgangen. »Manchmal bist du so klug, daß es mich ganz krank macht«, sagte er seiner Gattin mit einem Hauch Bosheit.
»Ja«, erwiderte sie schlicht, »Ich weiß. Aber du liebst mich doch trotzdem noch, nicht wahr?« Sie
Weitere Kostenlose Bücher