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Belladonna

Belladonna

Titel: Belladonna Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karin Slaughter
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lenkte ihre Aufmerksamkeit von der tiefen Furche im Schnittpunkt des Kreuzes ab. Bei Leichen nahmen Wunden ein dunkles, ja fast schwarzes Aussehen an. Die Risse in Sibyl Adams' Haut klafften auf wie winzige feuchte Münder.
    «Sie besaß nicht viel Körperfett», erläuterte Sara. Sie deutete auf den Bauch, wo der Einschnitt sich gleich über dem Nabel verbreiterte. Die Schnittwunde dort war tiefer, und die Haut war gespreizt wie bei einem zu engen Oberhemd, an dem ein Knopf weggeplatzt war. «Im unteren Abdomenbereich, wo die Eingeweide durch die Klinge verletzt wurden, befindet sich Kot.
    Ich weiß nicht, ob der Stich absichtlich so tief geführt wurde oder ob es zufällig geschah. Die Wunde sieht jedenfalls gespreizt aus.»
    Sie deutete auf die Wundränder. «Hier an der Spitze der Wunde kannst du die Riefung erkennen. Vielleicht hat er das Messer hin und her bewegt. Es gedreht. Außerdem...» Sie hielt inne und stellte ihre Überlegungen an, während sie
    weitermachte. «Es gibt Kotspuren an ihren Händen sowie an den Haltestangen in der Toilettenkabine, und daher muss ich annehmen, dass sie aufgeschlitzt wurde, die Hände auf den Bauch presste und schließlich aus irgendeinem Grund die
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    Haltestangen umklammerte.»
    Sie sah zu Jeffrey auf, um einzuschätzen, wie er sich hielt. Er schien wie angewurzelt dazustehen, vom Anblick des
    Leichnams wie gelähmt. Sara wusste aus eigener Erfahrung, dass der Verstand einen Streich spielen und die brutalen Konturen einer Gewalttat verwischen konnte. Auch für Sara war der neuerliche Anblick von Sibyl vielleicht schlimmer als der erste.
    Sara legte die Hände auf den Leichnam und stellte zu ihrer Überraschung fest, dass er noch warm war. Die Temperatur im Leichenschauhaus war immer niedrig, sogar im Sommer, weil der Raum sich unter der Erde befand. Sibyl hätte eigentlich inzwischen sehr viel weiter abgekühlt sein müssen.
    «Sara?», fragte Jeffrey.
    «Nichts», entgegnete sie, eigentlich noch nicht darauf eingestellt, Vermutungen auszusprechen. Sie drückte an der Wunde im Schnittpunkt des Kreuzes herum. «Es war eine zweischneidige Klinge», begann sie dennoch. «Damit müsstest du etwas anfangen können. Die meisten Stichverletzungen stammen doch von gezackten Jagdmessern, stimmt's?»
    «Stimmt.»
    Sie wies auf eine bräunliche Stelle um die zentrale Wunde.
    Beim Säubern des Leichnams hatte Sara viel mehr sehen können, als ihre erste Untersuchung in der Toilette ergeben hatte. «Das stammt von der Parierstange und bedeutet, er hat das Messer bis zum Anschlag hineingestoßen. Ich kann mir vorstellen, dass ich Absplitterungen an der Wirbelsäule entdecke, wenn ich sie aufmache. Ich habe beim Tasten mit dem Finger schon Unregelmäßigkeiten gefühlt. Wahrscheinlich sind da auch noch Knochensplitter drin.»
    Jeffrey forderte sie mit einem Kopfnicken zum Weiterreden auf.
    «Wenn wir Glück haben, finden wir irgendwo auch noch
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    einen Abdruck der Klinge. Und wenn nicht, dann hilft uns vielleicht die Quetschung weiter, die durch die Parierstange verursacht worden ist. Ich kann die Haut abtrennen und präparieren, nachdem Lena ihre Schwester gesehen hat.»
    Sie deutete auf die Stichwunde im Mittelpunkt des Kreuzes.
    «Das war ein kräftiger Stoß, und deswegen würde ich vermuten, dass der Mörder von oben zugestoßen hat. Siehst du, dass die Wunde einen Winkel von ungefähr fünfundvierzig Grad hat?»
    Sehr aufmerksam betrachtete sie den Einstich und versuchte zu verstehen, was geschehen war. «Ich würde fast sagen, dass der Stich in den Unterleib anders ist als der, der die Brustwunde verursacht hat. Aber das ergibt keinen Sinn.»
    «Warum?»
    «Die Einstiche sind verschieden.»
    «Und wie das?»
    «Kann ich nicht sagen», antwortete sie wahrheitsgemäß. Sie ließ dies Thema fü r den Augenblick fallen und konzentrierte sich stattdessen auf die Stichwunde im Mittelpunkt des Kreuzes.
    «Also, er steht wahrscheinlich vor ihr, in den Knien eingeknickt, und er führt das Messer seitlich nach hinten» - sie demonstrierte das, indem sie die Hand zurückzog -, «bevor er es ihr in die Brust rammt.»
    «Er benutzt für die Tat zwei Messer?»
    «Kann ich noch nicht sagen», räumte Sara ein und wandte sich wieder der Bauchwunde zu. Irgendwas stimmte nicht.
    Jeffrey kratzte sich am Kinn und betrachtete die Brustwunde.
    Er fragte: «Warum kein direkter Stich ins Herz?»
    «Nun, zum einen liegt das Herz nicht in der Mitte des Brustkorbs, wohin der Stich geführt werden

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