Belladonna
kleiner erscheinen. Die dunkle Blutlache um den Leichnam verschlimmerte den Eindruck. Mit Klaustrophobie hatte Jeffrey nie Probleme gehabt, aber Saras Schweigen wirkte wie die Anwesenheit einer vierten Person. Im Bemühen um Distanz sah er hinauf zur weißen Decke.
Endlich sprach Sara. Ihre Stimme klang kräftiger,
selbstsicherer. «Sie saß auf der Toilette, als ich sie gefunden habe.»
Da ihm nichts Besseres einfiel, holte Jeffrey einen kleinen Notizblock mit Spiralbindung hervor. Er zog einen Stift aus der Brusttasche und schrieb mit, während Sara die Ereignisse bis zum gegenwärtigen Augenblick schilderte. Ihre Stimme wurde ausdruckslos, als sie Sibyls Tod monoton in allen klinischen Einzelheiten schilderte.
«Dann bat ich Tess, mir mein Handy zu bringen.» Sara sprach nicht weiter, und Jeffrey beantwortete ihre Frage, noch bevor sie sie gestellt hatte.
«Sie ist okay», beruhigte er sie. «Auf dem Weg hierher hab ich dann Eddie angerufen.»
«Hast du ihm gesagt, was geschehen ist?»
Jeffrey versuchte ein Lächeln. Saras Vater zählte nicht gerade zu seinen größten Fans. «Ich hatte Glück, dass er nicht einfach aufgelegt hat.»
Sara lächelte nicht gerade, aber jetzt endlich sah sie Jeffrey in die Augen. In ihrem Blick war eine Verletzlichkeit, die er seit Ewigkeiten nicht mehr gesehen hatte. «Ich muss die Vorbeschau machen, dann können wir sie ins Leichenschauhaus bringen.»
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Jeffrey schob den Notizblock in die Jackentasche, während Sara Sibyls Kopf sanft zu Boden gleiten ließ. Sie hockte sich auf die Fersen und wischte die Hände hinten an ihrer Hose ab.
Sie sagte: «Ich möchte sie hergerichtet haben, bevor Lena sie zu sehen bekommt.»
Jeffrey nickte. «Sie ist noch mindestens zwei Stunden entfernt. Da sollten wir genug Zeit haben, um die Spuren zu sichern.» Er deutete auf die Kabinentür. Das Schloss war aufgebrochen. «War das Schloss schon in dem Zustand, als du sie gefunden hast?»
«Das Schloss ist in dem Zustand, seit ich sieben bin», sagte Sara und zeigte auf ihre Aktentasche neben der Tür. «Reich mir ein Paar Handschuhe.»
Jeffrey öffnete die Tasche und achtete darauf, dass er die blutigen Griffe nicht berührte. Aus einer Innentasche zog er ein Paar Latexhandschuhe. Als er sich umdrehte, stand Sara zu Füßen der Leiche. Ihre Haltung hatte sich verändert, und trotz der Blutflecken auf der Vorderseite ihrer Kleidung schien sie sich wieder unter Kontrolle zu haben.
Dennoch musste er sie fragen: «Bist du sicher, dass du das hier tun willst? Wir könnten auch jemanden aus Atlanta kommen lassen.»
Sara schüttelte den Kopf, während sie sich routiniert die Handschuhe überstreifte. «Ich will nicht, dass ein Fremder sie berührt.»
Jeffrey verstand sehr wohl, was sie meinte. Das hier war eine Angelegenheit des County. Und daher würden sich Menschen, die zum County gehörten, ihrer annehmen.
Sara stemmte die Hände in die Hüften und ging um die Leiche herum. Er wusste, dass sie versuchte, einen unbefangenen Blick für das Geschehen zu gewinnen, sich selbst aus der Gleichung auszuklammern. Jeffrey erwischte sich dabei, dass er seine ehemalige Frau genau musterte, während sie das tat. Sara war
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hoch gewachsen, über eins achtzig groß, mit tiefgrünen Augen und dunkelrotem Haar. Er ließ seine Gedanken schweifen, erinnerte sich daran, wie gut es gewesen war, mit ihr zusammen zu sein, als der scharfe Ton ihrer Stimme ihn in die Realität zurückriss.
«Jeffrey!», schnauzte Sara und sah ihn streng an.
Er starrte zurück, und er merkte, dass seine Gedanken an einen anderen, scheinbar sichereren Ort gewandert waren.
Sie hielt seinem Blick noch einen Moment stand, wandte sich dann aber zur Toilettenkabine. Jeffrey nahm noch ein Paar Handschuhe aus ihrer Tasche und streifte sie über, während Sara zu ihm sprach.
«Wie ich schon sagte», fing sie an, «saß sie auf der Toilette, als ich sie fand. Wir haben das Gleichgewicht verloren und sind gemeinsam zu Boden gefallen, und danach habe ich sie auf den Rücken gedreht.»
Sara hob Sibyls Hände und untersuchte die Fingernägel.
«Nichts. Ich vermute, sie wurde überrascht und wusste gar nicht, wie ihr geschah, bis es zu spät war.»
«Glaubst du, es ist schnell gegangen?»
«So schnell nun auch nicht. Was er getan hat, sieht für mich aus wie geplant. Der Tatort war sehr sauber, bis ich gekommen bin. Sie wäre ins Becken ausgeblutet, wenn ich nicht die Toilette hätte benutzen müssen.» Sara wandte den Blick ab.
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