Belladonna
ist ein ritueller Gewaltakt, keine Zufallstat. Sieh dir ihren Körper an. Sieh doch, wie sie hier zurückgelassen wurde.» Sara hielt inne, sprach dann weiter.
«Wer immer Sibyl Adams getötet hat, muss es sorgfältig geplant haben. Er wusste, wo er sie finden konnte. Er ist ihr auf die Toilette gefolgt. Das hier ist ein kalkulierter Mord, verübt von jemandem, der damit ein klares Zeichen setze n wollte.»
Als ihm klar wurde, dass sie Recht hatte, fühlte er sich wie vor den Kopf geschlagen. Er hatte diese Art Mord schon gesehen. Er wusste ganz genau, wovon sie sprach. Das war nicht das Werk eines Amateurs. Wer immer dies hier getan hatte, putschte sich wahrscheinlich schon in diesem Moment zu einer weitaus dramatischeren Tat auf.
Sara schien immer noch nicht zu glauben, dass er verstanden hatte. «Meinst du, dass er es bei einem Mord belassen wird?»
Diesmal zögerte Jeffrey nicht einen Moment. «Nein.»
-30-
DREI
Lena Adams schaute stirnrunzelnd auf den blauen Honda Civic vor sich und betätigte die Lichthupe. Die ausgeschilderte Geschwindigkeitsbegrenzung auf diesem Stück der Georgia I-20
war fünfundsechzig, aber wie die meisten Landbewohner Georgias sah auch Lena in den Schildern kaum mehr als einen wohlgemeinten Rat an die Touristen, die nach Florida fuhren oder von dort kamen. Und wie konnte es auch anders sein - die Nummernschilder des Civic waren aus Ohio.
«Nun mach schon», stöhnte sie und schaute auf den Tacho.
Sie war eingeklemmt zwischen einem riesigen Laster zu ihrer Rechten und dem Yankee in seinem Civic vor sich, und der war anscheinend entschlossen, sie nur ein bisschen über der erlaubten Geschwindigkeit zu halten. Einen kurzen Moment lang wünschte sich Lena, sie hätte einen der Streifenwagen von Grant County genommen. Nicht nur dass es sich darin angenehmer fuhr als in ihrem Celica, sondern überdies hatte man das Vergnügen, den Rasern einen Höllenschreck einjagen zu können.
Wie durch ein Wunder wurde der Laster langsamer und ließ den Civic vor sich einscheren. Lena reagierte auf die rüde Geste des Fahrers mit einem fröhlichen Winken. Sie konnte nur hoffen, dass er seine Lektion gelernt hatte. Eine Autofahrt durch den Süden war Darwinismus in Reink ultur.
Der Tacho des Celica kletterte auf fünfundachtzig, als sie die Stadtgrenze von Macon hinter sich ließ. Lena nahm eine Kassette aus ihrer Hülle. Sibyl hatte ihr speziell Musik zum Autofahren aufgenommen. Lena schob die Kassette ein und lächelte, als die Musik anfing, weil sie die ersten Takte von Joan Jetts ‹Bad Reputation› erkannte. Dieser Song war während ihrer High-School- Zeit die Hymne der Schwestern gewesen, und sie
-31-
waren an so manchem Abend spät über abgelegene Straßen gerast und hatten lauthals ‹Ich geb einen Scheiß auf meinen schlechten Ruf› gesungen. Dank eines auf Abwege geratenen Onkels wurden die Mädchen zum armen weißen Pack gezählt, ohne wirklich besonders arm zu sein oder gar, dank ihrer halb spanischen Mutter, sonderlich weiß.
Beweismaterial zum Labor des Georgia Bureau of
Investigation nach Macon zu transportieren war, im Großen und Ganzen betrachtet, kaum mehr als ein Kurierjob, aber Lena war froh, dazu eingeteilt worden zu sein. Jeffrey hatte gesagt, sie könne den Tag nutzen, um sich abzuregen. Das hieß, freundlich ausgedrückt, sie möge ihr hitziges Temperament unter Kontrolle bringen. Frank Wallace und Lena bekamen einander ständig in die Wolle wegen eines speziellen Problems, das von Anfang an ihre partnerschaftliche Zusammenarbeit beeinträchtigt hatte. Der achtundfünfzigjährige Frank war nämlich nicht besonders erbaut davon, dass Frauen bei der Polizei Dienst taten, und noch weniger gern sah er eine Frau als Partnerin an seiner Seite. Sehr oft schloss er Lena bei Ermittlungen aus, während sie ständig versuchte, ihre Beteiligung zu erzwingen. Es musste etwas passieren. Da Frank jedoch in zwei Jahren pensioniert wurde, wusste Lena, dass sie eigentlich nur in Ruhe abzuwarten brauchte.
In Wahrheit war Frank gar kein so übler Kerl. Auch wenn er unter jener Verschrobenheit litt, die fortgeschrittenes Alter mit sich bringt, schien er sich doch alle Mühe zu geben. An einem guten Tag vermochte sie zu erkennen, dass seine anmaßende Art nicht seinem Ego entstammte, sondern tiefer begründet war. Er zählte zu der Sorte Männer, die Frauen die Türen aufhielten, und im Haus nahm er stets seinen Hut ab. Frank war sogar Mitglied bei den Freimaurern. So jemand ließ
Weitere Kostenlose Bücher