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Belladonna

Belladonna

Titel: Belladonna Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karin Slaughter
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durch Bewegung irgendwie zur
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    Vernunft zu kommen. Sie fühlte sich angeschlagen und konfus, und um dagegen anzukämpfen, fiel ihr nichts anderes ein, als sich zu bewegen. Ihr gesamter Körper schmerzte, weil sie sich im Bett gewälzt und keinen Schlaf gefunden hatte, und sie konnte immer noch nicht den Anblick auf dem Tisch im Leichenschauhaus loswerden. Irgendwie war Lena jedoch auch froh, dass es noch ein weiteres Opfer gegeben hatte. Irgendwie verspürte sie das Bedürfnis, in Julia Matthews' Zimmer zu gehen und sie zu schütteln, sie anzuflehen zu sprechen, ihr zu sagen, wer ihr das angetan hatte, wer Sibyl ermordet hatte. Aber Lena wusste, dass das zu nichts führen würde.
    Die wenigen Male, die Lena in das Zimmer gegangen war, um nach der jungen Frau zu sehen, hatte diese geschwiegen, hatte nicht einmal auf die harmlosesten Fragen Lenas geantwortet. Ob sie noch ein weiteres Kissen wollte? Ob Lena jemanden für sie anrufen sollte?
    Weil sie durstig war, hatte die junge Frau auf den Krug auf dem Nachttisch gedeutet, statt um Wasser zu bitten. Sie hatte immer noch einen abwesenden, aber auch gehetzten Blick, was wohl daran lag, dass die Droge weiter in ihrem Organismus wirkte. Ihre Pupillen waren weit geöffnet, und sie machte den Eindruck einer Blinden - blind, wie auch Sibyl gewesen war.
    Aber Julia Matthews würde sich wieder erholen. Julia Matthews würde wieder sehen. Es würde ihr besser gehen. Sie würde ihr Studium wieder aufnehmen und Freundschaften schließen, irgendwann vielleicht einmal einen Mann kennen lernen, den sie heiratete und mit dem sie Kinder hatte. Erinnerungen an das Geschehene würden sie immer begleiten, irgendwo vergraben, aber wenigstens würde Julia Matthews leben. Wenigstens würde sie eine Zukunft haben. Lena wusste genau, dass sie ebendas der jungen Frau verübelte. Und Lena wusste auch, dass sie, ohne eine Sekunde zu überlegen, das Leben von Julia Matthews für das von Sibyl gegeben hätte.
    Die Fahrstuhltür öffnete sich mit einem Läuten, und Lenas
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    Hand zuckte unwillkürlich zu ihrer Waffe. Jeffrey und Nick Shelton traten auf den Gang, gefolgt von Frank und einem dürren jungen Burschen, der so aussah, als käme er gerade von der Abschlussfeier seiner High School. Sie ließ die Hand wieder sinken und ging ihnen entgegen. Dabei dachte sie, sie würde einen Teufel tun und mit ansehen, wie all diese Männer ein kleines Krankenzimmer betraten, in dem eine Frau lag, die gerade vergewaltigt worden war.
    «Wie macht sie sich?», fragte Jeffrey.
    Lena überging die Frage. «Sie wollen doch nicht etwa alle da rein, oder?»
    Jeffreys Miene bestätigte, dass er das vorgehabt hatte.
    «Sie spricht noch immer nicht», sagte Lena, weil sie verhindern wollte, dass er sein Gesicht verlor. «Sie hat bis jetzt nicht das Geringste gesagt.»
    «Vielleicht sollten nur Sie und ich hineingehen», entschied er schließlich. «Tut mir Leid, Mark.»
    Dem jungen Mann schien es nichts auszumachen. «Ach, ich bin doch schon froh, dass mir das hier alles einen freien Tag beschert hat.»
    Lena fand, dass es ziemlich beschissen von ihm war, so etwas in unmittelbarer Nähe einer Frau zu sagen, die durch die Hölle gegangen war, aber Jeffrey ergriff sie beim Arm, bevor sie etwas sagen konnte. Er geleitete sie den Flur hinauf und sprach dabei mit ihr.
    «Sie ist stabil?», fragte er. «Medizinisch betrachtet?»
    «Ja.»
    Jeffrey blieb vor der Tür des Krankenzimmers stehen, griff nach der Klinke, aber öffnete die Tür noch nicht.
    «Wie steht es mit Ihnen? Kommen Sie zurecht?»
    «Sicher.»
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    «Ich hab so eine Ahnung, dass ihre Eltern sie nach Augusta verlegen lassen möchten. Was halten Sie davon mitzugehen?»
    Lenas erste Regung war Protest, aber dann nickte sie in für sie so gar nicht charakteristischer Nachgiebigkeit. Es täte ihr vielleicht ganz gut, aus der Stadt hinauszukommen. Hank würde in ein, zwei Tagen nach Reece zurückfahren. Vielleicht würde sie sich anders fühlen, wenn sie das Haus wieder für sich hatte.
    «Ich lasse Sie beginnen», sagte Jeffrey. «Wenn es so aussieht, als würde sie sich wohler fühlen, wenn sie mit Ihnen allein ist, werde ich gehen.»
    «Okay», sagte Lena, die wusste, dass dies vorschriftsmäßiges Vorgehen war. Normalerweise wollte keine Frau, die vergewaltigt worden war, mit einem Mann darüber sprechen.
    Als einzigem weiblichen Detective in der Truppe war Lena diese Aufgabe schon einige Male zugefallen. Sie war sogar nach Macon gefahren, um bei

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