Belladonna
dass ihr Tonfall ziemlich herablassend war. Sie wollte das überspielen, indem sie sagte: «Glauben Sie, dass Sibyl Adams auf Grund der Droge nicht hat schreien können?»
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Mark sah die Männer an. Offensichtlich war auch das etwas, über das er sich bereits ausgelassen hatte, während Sara geistesabwesend gewesen war. «Es wird berichtet, dass es durch die Droge zu einem Verlust der Stimme kommen kann. Physisch geschieht dabei im Kehlkopf nichts. Die Droge verursacht keine physische Einschränkung oder Schädigung. Ich glaube, es hat eher damit zu tun, dass im Sprachzentrum des Gehirns etwas geschieht. Es muss dem ähnlich sein, das die Probleme beim Erkennen dessen hervorruft, was man sieht.»
«Klingt einleuchtend», stimmte Sara zu.
Mark fuhr fort: «Einige Anzeichen dafür, dass man die Droge aufgeno mmen hat: ein trockener Mund, erweiterte Pupillen, hohe Körpertemperatur, erhöhter Herzschlag und
Schwierigkeiten beim Atmen.»
«Beide Opfer litten an all diesen Symptomen», erwähnte Sara.
«Was für eine Dosis würde sie auslösen?»
«Es handelt sich um recht starkes Zeug. Schon ein Teebeutel könnte eine Person ausflippen lassen, besonders wenn sie nicht regelmäßig weiche Drogen konsumiert. Die Beeren sind nicht so schlimm, aber alles von der Wurzel oder den Blättern dürfte gefährlich sein, es sei denn, man weiß ganz genau, was man tut.
Aber auch dann gibt es keine Garantie.»
«Das erste Opfer war Vegetarierin», sagte Sara.
«Sie war auch Chemikerin, oder?», fragte Mark. «Ich wüsste eine Million andere Drogen als Belladonna, mit denen man herumspielen könnte. Ich glaube nicht, dass jemand, der sich die Zeit zum Recherchieren nähme, ein solches Risiko einzugehen bereit wäre. Es wäre russisches Roulette, besonders wenn man es mit der Wurzel zu tun hat. Das ist nämlich der tödlichste Teil der Pflanze. Nur ein ganz klein wenig zu viel von der Wurzel, und man ist hinüber. Ein Gegengift ist nicht bekannt.»
«Ich konnte bei Julia Matthews keine Anzeichen von
Drogengebrauch feststellen», sagte Sara zu Jeffrey gewandt:
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«Ich nehme an, du wirst sie nachher befragen?»
Er nickte und fragte dann Mark: «Sonst noch was?»
Mark fuhr sich mit den Fingern durchs Haar. «Es ist interessant und entbehrt auch nicht einer gewissen Ironie, dass die Droge bei einem Sexualverbrechen angewendet wurde.»
«Wieso?», fragte Jeffrey.
«Im Mittelalter wurde die Droge manchmal mit einem
vaginalen Applikator eingeführt, um den Rauschzustand zu beschleunigen. Manche Leute sind sogar der Ansicht, dass der Mythos von den Hexen, die auf Besenstielen durch die Gegend fliegen, zurückzuführen ist auf die Vorstellung von einer Frau, die sich die Droge mit einem hölzernen Applikator zuführt.» Er lächelte. «Aber in diesem Zusammenhang müssten wir eine langwierige Diskussion über Götterverehrung und das Aufkommen des Christentums in den europäischen Kulturen führen.»
Mark schien zu ahnen, dass er sein Publikum verloren hatte.
«Leute aus Drogenkreisen, die über Belladonna Bescheid wissen, wollen lieber nichts damit zu tun zu haben.» Er sah Sara an. «Wenn Sie vielleicht meine Wortwahl entschuldigen würden, Ma'am?»
Sara zuckte die Achseln. Bei der Sprache in der Klinik und den Ausdrücken ihres Vaters hatte sie so ziemlich alles gehört.
Mark wurde dennoch rot, als er sagte: «Der Verstand wird total gefickt.» Mit einem Lächeln entschuldigte er sich bei Sara.
«Die Erinnerung, die an erster Stelle steht, auch bei Benutzern der Droge, die dann später unter Amnesie leiden, ist das Fliegen.
Sie glauben wirklich, dass sie fliegen, und nachdem sie wieder runtergekommen sind, können sie nicht fassen, dass sie gar nicht geflogen sind.»
Jeffrey schlug die Arme übereinander. «Das könnte vielleicht erklären, warum sie unentwegt aus dem Fenster starrt.»
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«Hat sie überhaupt schon etwas gesagt?», fragte Sara.
Er schüttelte den Kopf. «Nichts.» Dann fügte er hinzu: «Wir gehen als Nächstes ins Krankenhaus. Wenn du mitkommen möchtest?»
Sara schaute auf ihre Uhr und tat so, als würde sie es sich überlegen. Aber sie würde eher aus dem Fenster springen, als nochmals Julia Matthews gegenüberzutreten. Sie konnte nicht einmal daran denken. «Ich hab Patienten», sagte sie.
Jeffrey deutete auf sein Büro. «Sara, kann ich vielleicht einen Moment mit dir sprechen?»
Sara wäre am liebsten davongerannt, aber sie hielt sich im Zaum. «Geht es um meinen
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