Ben Driskill - 02 - Gomorrha
harten Kampf mit anderen, die ihm das Amt wegnehmen wollten, leicht vergessen wurde. Er winkte und zwinkerte der Menge zu und lächelte, als hätte er soeben alle abends zu sich ins Wohnzimmer eingeladen. Die Kapelle spielte ›In the Cool, Cool, Cool of the Evening‹. Die Menge schunkelte mit und sang begeistert … sag ihnen, ich werde da sein … Es ähnelte dem Auftritt eines Rockstars. Sein Charisma strahlte aus und streichelte die Menge. Nach einigen Minuten verschwand das Lächeln. Er hob die Arme und bat um Ruhe.
Bohannon drängte sich immer noch weiter nach vorn. Driskill war ihm ein Stück näher gekommen. Allerdings war er sich noch nicht klar, was er tun würde, wenn er ihn zu packen bekäme. Er wußte nur, daß er etwas tun mußte. Jetzt sprach der Präsident. Die Zeit wurde knapp. Jeden Moment konnte es geschehen. Es würde Bohannons letzter Mord sein, und er würde sichergehen wollen …
»Sie wissen, daß ich eigentlich heute abend nicht hier stehen sollte …« Donnernder Beifall unterbrach Bonner. »Aber es ist für mich ein ganz besonderer Moment. Ja, die Gerüchte, die Sie gehört haben, stimmen. Wir haben einige Änderungen im Terminplan gemacht. Heute abend werden die Reden zur Nominierung gehalten und anschließend wird abgestimmt – ganz gleich, wie lange das dauert. Und morgen wird der von Ihnen nominierte Kandidat an dieser Stelle zu Ihnen sprechen. Ich mußte aber heute herkommen, um einem feinen Amerikaner meinen Respekt zu zollen, der viel zu früh von uns genommen wurde, einem ehrenwerten Gegner, einem Mann, den ich stets geachtet habe, weil er vorwärts dachte und bereit war, sich auf ein neues Gebiet vorzuwagen, Risiken einzugehen und wichtige Entscheidungen zu fällen.« Er entwaffnete die Anhänger Hazlitts und überschwemmte sie mit einer Woge ehrlich gefühlter Kameradschaft. Driskill dachte: Er ist sooooooo gut.
»Inzwischen haben Sie alle gehört, daß Bob Hazlitt und ich am vorigen Wochenende – aus unserer Liebe zu diesem großartigen Land und zu dieser großartigen Partei – das Kriegsbeil begraben hatten. Er war überaus lebendig, als wir telefonierten. Er fand die Gespräche, die Ben Driskill mit ihm in meinem Namen geführt hatte, äußerst konstruktiv und freute sich auf unsere Zusammenarbeit. Wir wollten gemeinsam in den kommenden Monaten meine zweite Amtsperiode vorbereiten. Wir haben über die Möglichkeit gesprochen, daß er auf meiner Liste als Vizepräsident kandidieren würde und der großartige Amerikaner David Manders Botschafter bei den Vereinten Nationen würde. Über diese Idee wollten wir in dieser Woche sprechen … und dann haben wir ihn verloren. Das Schicksal hat zugeschlagen.«
Die Marineinfanteristen und Anhänger Taylors wurden unruhig. Einige stampften mit den Füßen und riefen nach Taylor. Der Präsident bat um Ruhe. »Vielleicht haben Sie auch gehört, daß General Taylor sich an uns gewandt hat, um Bob Hazlitts Platz auf der Liste der Demokraten einzunehmen, um uns alle zu einen …«
Driskill war verblüfft, in welchem Ausmaß Charlie die Macht einer einfachen Lüge erfaßt hatte, wie er in den Köpfen der Zuhörer Verwirrung stiftete. Die Menge war jetzt zwiegespalten. Taylor-Anhänger winkten und schrien. Bonner-Anhänger brüllten im Chor: Bonner – jetzt erst recht! Bonner – jetzt erst recht! Eine Kapelle spielte irgendwo ›Happy Days Are Here Again‹. Es kam zu einer Prügelei. Ordner griffen ein.
Der Präsident ließ sich von alledem nicht erschüttern. »Ich weiß, daß Sie alle General Taylor hören wollen …« Schreie, Applaus, Fäuste in der Luft. »Im Namen der Parteieinheit möchte ich ihn an diesem Abend, der in der politischen Geschichte Amerikas beispiellos ist, als neues Mitglied unserer Demokratischen Partei begrüßen und Ihnen Gelegenheit geben, seine Worte zu hören. Ich bitte um Applaus für den ehemaligen Präsidenten … General Sherman Taylor!«
Jubel, Geschrei und Musik schwappten wie eine Flutwelle zum Podium. Der Präsident blickte in die Kulissen. Die Musik wurde noch lauter. Ein halbes Dutzend Kapellen spielten auf verschiedenen Standorten im Parkett. Es war wie eine Explosion. Das Chaos triumphierte. Die Scheinwerfer fuhren ziellos über die Menge. Reporter kämpften sich mit Mikrophonen vorwärts, um irgendwelche Kommentare einzufangen. Der riesige Bildschirm über dem Podium zeigte Nahaufnahmen, auf denen die Nasen der Menschen so groß wie Cadillacs waren. Eine Faust schoß vor, Blut spritzte aus
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