Benedict-Clan "Der Mitternachtsmann"
erhalten. Es war ein echter Schlag unter die Gürtellinie, ganz zu schweigen davon, dass halb Louisiana zugehört hatte.
Überhaupt zerrte Buchpromotion generell unerträglich an ihren Nerven. Warum von Schriftstellern erwartet wurde, dass sie die Bücher, die sie geschrieben hatten, auch noch verkauften, blieb ein großes Rätsel. Die meisten Schriftsteller waren von Natur aus introvertiert; April hatte vor Jahren zumindest teilweise deshalb mit dem Schreiben begonnen, weil es ihr leichter fiel, Worte aufs Papier zu bringen, statt sie auszusprechen. Den Umgang mit den Medien hatte sie im Lauf der Zeit gelernt, aber es war doch immer wieder eine große Überwindung, und sie war jedes Mal wieder überrascht, wenn man ihr sagte, dass sie sich gut verkaufen konnte.
Sie rechnete ständig damit, eines Tages als Schwindlerin enttarnt zu werden. Vielleicht war dieser Tag ja jetzt gekommen. Es wäre nur folgerichtig. Im Moment lief in ihrem Leben nichts, wie es laufen sollte.
Es schellte. April fuhr zusammen und zog scharf die Luft ein. Bevor sie sich aufraffen konnte aufzustehen, schrillte die antike Messingklingel an der Haustür der alten Südstaatenvilla erneut durchs Haus. April schlängelte sich hinter ihrem Schreibtisch hervor, um nachzuschauen, wer so früh am Morgen schon etwas von ihr wollte.
Auf ihrer Veranda stand ein Mann. Er hatte die Stirn in Falten gelegt und die Hände in die Hüften gestützt. Als sie durch die Spitzenvorhänge spähte, sah sie sein blauschwarzes Haar in der Sonne glänzen; seine Augen wirkten wie vom Regen benetzte Obsidiane. Seine edlen Gesichtszüge hatten einen indianischen Einschlag. Er war hoch gewachsen und sah so atemberaubend gut aus wie der Teufel in Menschengestalt, wobei er sich um diese Tatsache genauso wenig scherte wie um alles andere.
Luke Benedict.
Luke-de-la-Nuit – der Mitternachtsmann. Luke. Der aufreizendste Mann in Turn-Coupe – oder genauer gesagt im gesamten Tunica Parish. Er hatte einen absoluten Riecher dafür, immer genau dann aufzutauchen, wenn man ihn am wenigsten brauchen konnte. So auch jetzt.
April lehnte sich mit dem Kopf gegen die dicke Eichenholztür und schloss ihre Augen. Das war zu viel. Gerade eben dieser Spinner am Telefon, und dann war da auch noch Martin, ihr Exmann, der versuchte, sich wieder bei ihr einzuschleimen. Ihr letztes Buch hatte verheerende Kritiken bekommen, und das hatte bei ihr zu einer Schreibblockade geführt. Und zu allem Überfluss war ihr weißer Elefant von einem Haus auch noch dringend reparaturbedürftig. Das absolut Letzte, was sie jetzt brauchte, war, dass sie sich auch noch mit Luke Benedict herumärgern musste.
Luke klopfte direkt über ihrem Kopf auf der anderen Seite an die Tür. April seufzte und fuhr sich mit den Fingern durch ihr goldbraunes langes Haar. Dann machte sie auf.
„Alles okay?“ wollte Luke wissen. „Ich hatte im Jeep gerade das Radio an, als dieser Fiesling in der Leitung war.“
Natürlich hat er es auch gehört, dachte sie niedergeschlagen. Wie hätte es auch anders sein sollen. Sie winkte ab. „Ja, ja, alles okay. Du kannst dich wieder um deine eigenen Angelegenheiten kümmern.“
Er überhörte es und fragte: „Kennst du den Kerl? Kam dir die Stimme irgendwie bekannt vor?“
„Zwei Mal nein.“ Das war nicht ganz die Wahrheit, aber sie hatte nicht die Absicht, Luke auch nur den geringsten Anlass zu geben, seine Nase in ihre Angelegenheiten zu stecken. Irgendjemand mit einer ähnlichen Stimme hatte sie vor einer Woche um drei Uhr morgens aus dem Schlaf gerissen. Zumindest war ihr die Stimme ähnlich vorgekommen, obwohl der Anrufer damals nur wenige Worte gesprochen hatte. Aber schließlich war es allseits bekannt, dass Leute, die heftig schnauften, deshalb noch lange nicht gefährlich waren, oder?
„Warum war er so aufgebracht? Hast du eine Idee?“
„Wahrscheinlich war er einfach nur geladen. Wirklich, es ist nicht weiter schlimm.“
Luke musterte sie forschend. „Genau. Ich weiß, dass sie im Radio mit einer oder zwei Sekunden Verzögerung senden, damit sie sich ihre Einflussmöglichkeiten erhalten. Du hast vielleicht mehr gehört als die Zuhörer. Hast du eine Ahnung, von wo aus er angerufen haben könnte?“
„Kann sein, dass es eine Telefonzelle war. Hör zu …“
„Du solltest Roan anrufen.“
Roan war der Sheriff von Tunica Parish und ebenso wie Luke ein Mitglied des weit verzweigten Benedict Clans, der sich um den Horseshoe Lake, wo auch Aprils Haus lag,
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