Benjamins Gärten (German Edition)
mögen.«
Sprichst du hastig? Oder bilde ich mir das ein? Du drehst dich langsam herum, schaust mir nicht in die Augen, steigst vor mir die Treppe hinunter.
Wir gehen durch das immer noch stille Haus, das zwei Gäste hat, keine Bewohner. Im Garten heben wir zusammen ein weiteres Fenster auf die Böcke. Das Holz ist glatt geschliffen, fügt sich warm in meine Hände.
Marek beugt sich weit über das Fenster, küsst mich, lächelt verschmitzt. Ich schaue in seine aufleuchtenden blauen Augen. Betrachte sein Gesicht, das wieder ernst wird. Jetzt entspannt wirkt. Über das seine Stimmungen wie Schatten gleiten. Was sieht er, wenn er meins anschaut? Ein hübsches, unauffälliges Gesicht? Ein zu ernstes, zu alltägliches Gesicht unter einem zerzausten braunen Schopf? Er beugt sich noch einmal vor:
»An diesem hier werde ich wohl auch sehr hängen«, küsst mich, länger als eben.
Wir lehnen uns zurück, stützen uns auf den Kanten des Rahmens auf. Ein Mann kommt die Auffahrt herauf, einen Stapel Werbeprospekte unterm Arm. Ich erkenne den Schuster Hans, folge ihm mit Blicken, er grüßt mit einem Nicken, wirkt gleichgültig. Er wirft einen Prospekt in den Kasten, geht wieder fort. Als er schon fast um die Kurve ist, dreht er sich um, bleibt einen Moment länger als nötig stehen, neugierig. Verschwindet dann. Ich überlege, ab wann er uns hat sehen können. Eine kleine, unkonkrete und darum schwer zu beherrschende Angst flattert wie ein Kolibri in meiner Brust. Ich zwinge mich, ruhig zu bleiben.
Marek hat den Mann nicht bemerkt, weist mich mit leuchtenden Augen auf ein Detail des Fensterrahmens hin, fährt mit dem Finger darüber. Kann mit derselben Begeisterung über Wasser speiende Chimären, schmiedeeiserne Dachbekrönungen oder mosaikverzierte Simse sprechen. Er ist verliebt in den geheimnisvollen Zauber alter Häuser, verliebt in die individuelle Perfektion alter Fenster. Er sagt, sie ist unnachahmlich. Erklärt mir, dass moderne Fenster den Zauber eines alten Hauses zerstören, weil die Details wichtig sind. Als ob mir das in seiner Nähe noch nicht aufgefallen wäre.
Apfelblüten
Wenn man barfuß geht, nimmt man die Struktur des Bodens genauer wahr, seine Feinheiten. Spürt die Erde nicht nur mit Füßen. Die Wärme und Glätte von Asphalt, die Kühle des Schattens zwischen den Gräsern. Raue Steinplatten, trockene Zweige, piksende Steinchen auf sonnigen Wegen. Auf den Wiesen wiegt sich das Schaumkraut, weiß-violette Kronen im zarten Grün. Licht und Schatten spielen im hohen Gras unter den Obstbäumen. Die Hänge ums Dorf sind mit blühenden Obsthainen bedeckt wie mit weißen Wolken. Als wäre der Himmel herabgestiegen.
Vor dem Haupthaus eines leer stehenden Gehöftes schwingt sich ein blühender Birnbaum in den Himmel. Die Blüten sammeln sich zu leuchtenden Bällchen im hellen Grün. Seine rissige Rinde sieht so alt aus wie das verblichene Holz des Giebels dahinter. Das alles habe ich noch nie wahrgenommen, obwohl ich schon unzählige Male hier langgegangen bin.
Ich stoße fast mit einem Karren voll Heu zusammen, kehre wieder in die Welt zurück. Ich springe vom Weg ins Gras, um auszuweichen. Der alte Rößler hinter dem Karren grüßt mit einem missbilligenden Ausdruck, den ich nicht auf mich beziehe, er trägt ihn gegen die Welt im Gesicht. Er biegt in den Weg hinauf zu seinem Hof ein. Er fährt nie mit seiner Frau in den Urlaub, wegen der hungrigen Kaninchen, der Ziegen und der durstigen Tomaten im Gewächshaus.
Ich würde gerne einmal wegfahren. Andere Orte sehen. Gar nichts Spektakuläres, nur herauskommen, Eindrücke sammeln.
Ich gehe weiter auf der Dorfstraße, komme an Häusern vorbei, so schmal und krumm wie meines. Alle zeigen die gleichen Kästen mit rosa Geranien auf ihren Fensterbänken her. Hinter all diesen Fenstern die gleichen dicht gewebten Gardinen, die aus ihren Fenstern dunkle Löcher machen. Ich pflanze keine Geranien. Die Gardinen habe ich heruntergerissen, um wenigstens ein bisschen Licht hereinzulocken. Es fiel auf, dass ich keine Gardinen mehr hatte. Die Cousine meiner Großmutter wollte mir welche schenken. Es wurde getuschelt. Es rauschte hinter ihren bauschigen Gardinen, sie bewegten sich vom Luftzug ihres Gezischels. Seitdem wissen sie, dass ich anders bin. Sie wissen noch nicht, wie anders ich bin. Das hoffe ich jedenfalls.
An einem Zaun stehen Leute, unterhalten sich darüber hinweg. Glotzen mich kurz an, tratschen dann weiter. Ich fühle mich unwohl, gehe schneller.
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