Benjamins Gärten (German Edition)
fällt mild, wenig geheimnisvoll, über Dielen, Bett und Schrank. Anna folgt mir, sieht sich um. Fährt mit dem Finger durch den Staub auf der Kommode, betrachtet sich in dem fleckigen Spiegel, berührt die Bettlehne.
»Findest du das gut?«, fragt sie schließlich.
»Ich brauche das Zimmer nicht.«
»Wie lange willst du es noch so lassen?«
»Ich hatte noch keinen Anlass es auszuräumen.«
Ich wende mich ab, öffne den Kleiderschrank, hole ein Kleid heraus.
»Schau mal. Gefällt dir das?«
Sie nimmt mir das dunkelgrüne, schimmernde Abendkleid aus der Hand, hält es sich an, betrachtet mich kritisch. Dann nickt sie, legt das Kleid sorgsam aufs Bett. Sie zieht ihre Bluse und Hose aus und das Kleid über. Ich trete näher, sie dreht mir den Rücken zu, streicht ihr Haar über eine Schulter. Ich schließe vorsichtig den Reißverschluss, streiche eine lose Strähne aus ihrem Nacken. Sie dreht sich einmal vor mir. Das Dunkelgrün des Kleides passt zu ihren schwarzen Haaren. Einen Moment erinnert sie mich an meine Mutter, aber dann verflüchtigt sich der Eindruck und ich sehe Anna. Eine hübsche junge Frau in einem altmodisch geschnittenem Kleid. Sie dreht sich noch einmal, lässt den Stoff durch ihre Finger gleiten: »Es gefällt mir.«
»Nimm es, wenn du möchtest.«
Anna lässt sich dann aufs Bett fallen. Ich lege mich neben sie.
»Wir sollten es tun, Benjamin.«
»Wie? Was meinst du?«
»Wir räumen es leer. Vertrau mir«, flüstert Anna. Ich zögere, nicke schließlich. Ich habe noch nie jemandem so sehr vertraut.
Stunden später stehen neben der Tür acht Müllsäcke voll mit Kleidung. Gardinen, Bettvorleger und Lampen sind verschwunden, das Bett und der Schrank zerlegt. Wir liegen auf der Matratze, die in der Mitte des Zimmers zurückgeblieben ist. Ich spüre jeden Knochen. Meine Hände sind trocken und rissig, ich betrachte den Staub von Jahrzehnten, der sich in den Furchen festgesetzt hat. Anna hebt auch ihre Hand. Wir spreizen die Finger, Lichtsprengel fallen hindurch, brechen sich in den Staubflocken, die durch die Luft tanzen.
Das Zimmer ist größer geworden, leerer, hat Platz in meinem Kopf gemacht. Ich stelle mir vor, was ich damit machen könnte. Sehe Gräser, hoch wie Schilf, über die Blümchentapete wachsen, sich im Wind wiegen. Nur eine Matratze auf dem Boden. Vielleicht könnte man in einer Ecke des Zimmers eine Hängematte aufspannen.
Anna zündet sich eine Zigarette an, teilt mit mir. Wir schweigen weiter. Dies hier geht über Worte hinaus. Ich blase den Rauch gegen die Decke, drehe den Kopf. Wir schauen uns an, ihre Schulter drückt an meine.
Der Anhänger um ihren Hals ist zur Seite verrutscht, sodass ich ihn jetzt erst sehe. Er ist silbern und gezackt und ich erkenne ihn. Ich starre darauf.
»Schöner Anhänger.«
»Ja, den müsstest du doch kennen. Ich habe Marek auch mal so einen geschenkt.«
Ich streiche ihr eine Haarsträhne hinters Ohr, berühre dabei den Anhänger. Anna drückt ihre Zigarette in einer alten Schale aus. Sie richtet sich auf: »Komm her.«
Sie löst das Lederband von ihrem Hals. Ich setze mich hin. Sie legt den Anhänger um meinen Hals.
»Hatte er noch einen anderen?«, frage ich leise.
»Nicht, dass ich wüsste. Vielleicht mal eine Nacht hier oder da.«
Sie verknotet das Lederband, gibt mir einen Kuss in den Nacken.
»Danke. «
Ich berühre den Anhänger an meinem Hals. Mir fallen viele Fragen ein, die ich ihr gern stellen würde. Aber das ist dumm, ich hätte sie ihm stellen sollen. Ich möchte nur fragen, von ihm hören, um ein Stück von ihm hier zu behalten. Ich will nicht, dass er ganz geht. Aus meinem Leben, aus meiner Erinnerung.
Anna legt die Hand auf meine Schulter: »Marek hat die alte Fabrik gekauft. Wusstest du das?«
»Was?« Ich starre sie verständnislos an. »Warum sagst du das erst jetzt?«
»Ist ganz neu. Ich hatte ihm erzählt, dass wir dort waren und dass sie abgerissen werden soll. Weiß nicht, was er damit will. Das ist doch viel zu groß für ihn.« Dann leiser: »Er wird Jahre brauchen dafür.«
Anna umarmt mich von hinten, legt ihren Kopf auf meine Schulter. So bleiben wir eine Weile sitzen, bis sie sagt: »Er will heute Abend herkommen. Ruf ihn doch an.« Sie hält mir ihr Handy hin. »Vielleicht ist er schon da. Er geht bestimmt erst zur Fabrik.«
Ich schüttle den Kopf: »Lass mal.« Ich drücke ihre Hand. Dann stehe ich auf, gebe Anna einen Kuss.
»Viel Glück«, sagt sie. »Ich gehe runter und mache mir was zu
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