Benjamins Gärten (German Edition)
zwölf hörte ich damit wieder auf. Ich habe mein eigenes Leben, ich habe es nicht nötig, auf ihn zu warten. Und doch tue ich es. Versuche es mir nicht anmerken zu lassen, wenn er wieder da ist. Ich bin nicht auf ihn angewiesen. Ich kann gut mit mir allein sein. Meistens jedenfalls.
Das Geländer drückt sich kühl an meine Stirn. Manchmal ist genau dann niemand da, wenn ich jemanden brauche. Wenn ich mich so einsam fühle wie jetzt. Ein Blütenblatt segelt vor meine Füße. Ich blicke auf. Ein leichter Wind hat sich erhoben, fährt durch den Kirschbaum. Die fragilen Kirschblüten verblühen immer zuerst. Ich stehe auf. Der Wind treibt weiße Blüten wie Schnee zu mir herüber, eine bleibt in meinen Haaren hängen. Die anderen sammeln sich auf den Treppenstufen. Ich hebe die Hand, fange ein Blütenblatt auf. Die Adern darin sind schon braun. Ich gehe die Stufen hinunter, trete die Blüten mit Füßen. Ich lasse die Villa hinter mir, versuche, sie aus meinen Gedanken zu verbannen, mit jedem Schritt mehr.
Ich gehe ziellos durchs Dorf. Komme an einer hohen, dichten Hecke vorbei und erinnere mich plötzlich an das Reich dahinter. Ich spüre eine Lücke am Fuß der Sträucher auf und krieche unter dem dichten Gestrüpp einer Schneebeere hindurch. Auf der anderen Seite richte ich mich auf. Das Grundstück ist immer noch verwildert. Alte knorrige Obstbäume, ungebändigtes Grün, ein Brunnen mit einer gesprungenen Steinplatte.
Ich lasse die Hecke aus Flieder, Holunder und Schneebeere hinter mir und dringe tiefer in die Wildnis ein, die sich immer mehr über die Spuren menschlichen Einflusses gebreitet hat. Kehre mit jedem Schritt zurück in die Welt meiner Kindheit. Plötzlich ist da eine Grenze, ich bleibe überrascht stehen. Das Grundstück ist jetzt geteilt, zwischen Tannen hindurch erblicke ich die andere Hälfte. Der Rasen um das Fertigteilhaus ist akkurat kurz geschnitten, keine Bäume, nur ein paar Koniferen. Zwei Jungen jagen sich mit Wasserpistolen, brechen zwischen den Bäumen hindurch auf die verwilderte Seite. Der Kampf geht weiter, sie rufen sich Anweisungen zu, jagen sich durch das hohe Gras, um Bäume und Hindernisse herum. Schließlich wechseln sie wieder die Seite, ohne mich bemerkt zu haben.
Ich kann ihnen nicht verübeln, dass sie lieber hier drüben spielen. Einst war das ganze Grundstück ein Paradies für Kinder, wild und ungezähmt. An der Stelle des Hauses stand ein riesiger Birnbaum, dessen Zweige sich rundherum bis zum Boden neigten, sodass sie ein Zelt bildeten. Der Baum trug kleine, harte, aber süße Früchte. Ein Kleiber, der kopfüber am Stamm kletterte, wohnte dort. Das Gras wucherte ungehindert. Im Frühsommer war es schließlich hüfthoch. Uns Kindern reichte es bis zur Schulter.
Wir waren eine ganze Horde von Dorfkindern, mehr Jungen als Mädchen. Das Grundstück war unser liebster Spielplatz. Die Sitten waren rau. Oft waren wir verfeindete Indianerstämme, manchmal gab es auch Cowboys. Den Birnbaum als Stammeszelt zu gewinnen garantierte die Macht, die Regeln des Spiels zu bestimmen. Doch er war nicht leicht zu verteidigen, weil er von allen Seiten ungeschützt war. Gefangene wurden an die Bäume gefesselt.
Ich musste nicht oft dort stehen, ich kannte alle Schlupflöcher, war schnell und gewandt. Die Hecke aus alten Sträuchern bot herrliche Verstecke im Unterholz. Manchmal hockte ich mich auch einfach irgendwo ins tiefe Gras, das war das beste Versteck, so wurde man nie gefunden. Wenn jemand näher kam, konnte man einfach wegrobben.
Die beiden Jungs brechen wieder durch die Zweige, laut rufend, anscheinend sind wir in der Laderampe eines Raumschiffes. Jetzt bemerken sie mich, bleiben leicht verunsichert stehen. Dann richten sie ihre Pistolen auf mich und verlangen meinen Sicherheitscode. Als ich keinen habe, sind sie auch zufrieden, erteilen mir eine Sondergenehmigung und toben weiter zu den Sträuchern.
Ich beneide sie einen Moment. Als ich als Einziger von allen Spielkameraden aufs Gymnasium kam, war es aus mit dem Indianer spielen. Die Busse aus der Stadt ins Dorf fuhren ungünstig, ich kam erst spät heim. Zu spät zum Spielen. Meine neuen Mitschüler redeten meist über Dinge, die mich nicht interessierten. Kümmerten sich um Dinge, von denen ich nichts wusste.
So fuhr ich im Sommer allein mit meinem Rad herum, auch noch, als ich schon sechzehn geworden war. Ich erkundete halb zugewachsene Pfade, folgte barfuß im kalten Wasser und über Steine, dem Lauf von Bächen.
Weitere Kostenlose Bücher