Benson, Amber - Jenseits GmbH 2 - Einmal Tod ist nicht genug
aufzufressen. Während mein Zeigefinger noch fröhlich in der Luft herumhing, spürte ich, wie sich ein breites, dümmliches Lächeln langsam auf meinem Gesicht ausbreitete. Offenbar hatte die winzige, menschenähnliche Minke etwas an sich, das mich dazu animierte, mich wie ein zehnjähriges Mädchen zu verhalten.
»Kannst du bitte dafür sorgen, dass dieser dumme Mensch aufhört, mich anzuglotzen?«, fragte die Minke. Ihre Stimme klang seltsam tief und maskulin für etwas, das so weiblich aussah.
Tja, das zerstörte das Kinderglück ziemlich nachhaltig.
»Himmel, tut mir leid, dass es mich gibt«, brummte ich und ließ die Hand sinken, während ich die beiden mit einem finsteren Blick bedachte.
»Bitte sei nicht beleidigt, Calliope Reaper-Jones«, sagte die Alte. Ein bedächtiges Lächeln spannte ihre Gesichtshaut und ließ niedliche Fältchen in ihren Augenwinkeln entstehen. »Die Minke kann nicht anders, sie ist nun einmal schroff. Stell dir vor, wie es für dich wäre, wenn deine Erscheinung überall, wo du auftauchst, solch kindliches Staunen hervorrufen würde.«
Einen Moment lang dachte ich über diese Worte nach und nickte dann. Ich schätze mal, dass es nach einer Weile schon nervig werden kann, wenn die Menschheit als Ganzes einem bei jeder Bewegung mit großen Augen zuschaut.
»Klar, ich versteh schon. Süß und wunderhübsch und auf diese Peter-Pan-Blütenfee-Art irgendwie sexy zu sein, kann durchaus frustrierend sein, nehme ich an …« Ich verstummte, als ich den Blick der Minke bemerkte.
Ich bin nicht besonders gut darin, Größen einzuschätzen, doch wenn ich hätte raten müssen, hätte ich gesagt, dass Muna maximal sechzig Zentimeter maß. Mit ihren lilafarbenen, mandelförmigen Augen, dem langen, pechschwarzen Haar und den hohen, sahnefarbenen Wangenknochen war sie eine atemberaubende Miniatur-Femmefatale.
Genau genommen (obwohl es seltsam klingt) hatte sie eine unheimliche Ähnlichkeit mit einer Hot-Looks-Puppe, in die ich als Kind wahnsinnig verknallt war. Eigentlich hatte ich die Puppe von meiner älteren Schwester Thalia geerbt, aber ich war verrückt nach ihr und trug sie überall mit mir herum wie ein Schnuffeltuch in Menschengestalt. Als der Puppe der Kopf abfiel, warf meine Mutter sie schließlich weg. Offenbar bereitete es anderen Leuten Unbehagen, wenn sie ein sechsjähriges Kind sahen, das eine verdreckte, kopflose Stoffpuppe von der Größe eines Terriers dabeihatte.
Ja, es war wirklich ein bisschen komisch von mir, eine Puppe ohne Kopf mit mir rumzuschleppen, aber ich hatte meine Gründe. Mit der Hot-Looks-Puppe hatte es nämlich etwas Besonderes auf sich. Etwas, das ich bis heute niemals einer lebenden Menschenseele auf der Welt erzählt habe (nicht einmal meiner Therapeutin, weil ich nicht wollte, dass sie einen Herzanfall kriegte), nämlich dass meine Puppe mit mir sprach.
Ja, ich weiß, eine Menge Kinder haben eingebildete Freunde, doch hier lagen die Dinge ganz anders. Meine Hut-Looks-Puppe (sie erzählte mir, dass sie Nudel hieß, was mir damals absolut angemessen erschien, da sie weich und definitiv biegsamer als ein Berg Spaghetti war) war gerne ungezogen.
Wenn ich »ungezogen« sage, dann stellt ihr euch wahrscheinlich vor, dass sie so etwas anstellte, wie alles Eis im Kühlfach zu verdrücken, sich nicht die Zähne zu putzen, nicht zur Schlafenszeit zu Bett zu gehen oder die Halloween-Süßigkeitentüte der Schwester leer zu fressen … doch unglücklicherweise tauchten solche Missetaten nicht einmal auf Nudels Ungezogenheitsskala auf. Sagen wir einfach, dass Nudel etwas radikalere Vorstellungen von Ungezogenheit hatte.
Einmal hat Nudel mich fast dazu gebracht, meine kleine Schwester Clio von einer Klippe zu stoßen … aber das ist eine ganz andere Geschichte.
Es versteht sich wohl von selbst, dass die Person, die die Hot-Looks- Puppen erfunden hat, mit einiger Sicherheit aus der Welt des Übernatürlichen stammt, denn meine Puppe Nudel und diese Minke waren sich in Sachen Betragen und Aussehen wirklich außerordentlich ähnlich.
»He, so hat sie das überhaupt nicht gemeint, du Dussel«, unterbrach Muna meine Gedanken und verdrehte die Augen in einer Art und Weise himmelwärts, die ich bestens aus meinem eigenen Repertoire kannte. »Ich bin hier nicht die, die für Frustration sorgt. Ihr minderbemittelten Menschen seid es, die einfach nicht aufhören können, mich anzustarren. Ihr seid das Problem.«
Himmel, ich konnte nur hoffen, dass ich selbst nicht
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