Berge Meere und Giganten (German Edition)
sah weg, schluchzte.
»Wo führst du mich hin?« »Komm.« Der Straßenweg war zu Ende. Über einer gefrorenen Wiese, – das Eis, über Tümpel ausgespannt, knisterte – gingen sie. Ein lichter schmaler lang hingezogener Wald kam. »Hier. Laß den Mann draußen. Er kann auf der Wiese warten. Er darf mit dem toten Tier nicht her.« Sie wanderten zwischen den Stämmen, unter dem Liniengewirr der Äste. An einer kleinen mit trockenen braunen Blättern überschütteten Bodenwelle stand Elina. »Komm.« »Bist du müde? Willst du dich setzen?« Elina den Kopf tief auf die Brust gedrückt zog sich die Kappe ins Gesicht. Sie hauchte: »Gib den Gürtel.« »Hier.« »Nein. Leg ihn selbst hin.« »Wo soll ich ihn hinlegen?« Elinas Knie sanken; sie drückte den Kopf in das kalte herunterraschelnde Laub. »Was denn, Elina?« Sie weinte unten ganz leise, ihre Hände griffen in die Blätter: »Ja hierhin.«
Marduk seufzte, zwischen die Stämme blickend: »Was ist mit Jonathan?« »Du siehst es ja. Dein Freund. Unser Freund. Mein Freund. Mit dem weißen Gürtel. Du trugst immer den weißen Gürtel. Einen weißen Mantel, deinen weißen Mantel trugst du immer so gern.« »Was ist mit Jonathan?« Sie schluckte unten, hell weinte wimmerte sie, zog die klagende Stimme: »Nicht fragen. Oh, oh. Nicht fragen.«
Er erzitterte, es überlief ihn. Vom Kopf bis zu den Füßen lief das Zittern. Er wehrte sich. Es rollte von den Knien und Schultern, es warf ihn hoch, zog ihn herunter. Er schüttelte seine Arme, wirbelte und riß an seinen Ellbogen, stieß seine leeren greifenden Hände nach vorn und rückwärts. Wie er den Kopf nach hinten bog, um seine übervolle Kehle zu entladen, schleuderte es ihn auf den Boden, dicht neben die klagesingende wimmernde sich einwühlende Elina, schräg über den Grabhügel. Laubwolken flogen über sie beide. Und da lag im weißen Pelz der große grauhaarige Marduk; die Kappe rollte den Hügel herunter. Er tobte, streckte die Arme aus: »Nein, nein, nein.« Flehte zu Jonathan, rief ihn mit Kosenamen, suchte ihn. Auf den Rücken warf er sich herum; die Blätter hatte er in den Händen, rieb sein glühendes aufgedunsenes Gesicht. Er warf sich auf, am Fuß des Hügels kniete er auf dem Waldboden, den Rumpf hin und her biegend, im Flüstergespräch mit dem Hügel, den Kopf immer wieder tief einpressend. Und Marduk pries Jonathan, umarmte ihn, ließ den Sand das Moos das trockene Laub nicht los.
Sein Zittern ließ nach, den Kopf hob er, die Hände nahm er von dem blattbedeckten aufgerissenen zuckenden Gesicht. Elina, leeren Blicks, stand neben ihm, ein Knie gebeugt auf dem Hügel, hielt ihm die Hand hin, daß er aufstehe. »Nimm den Gürtel vom Grabe weg.« Er suchte sie zu erblicken. »Komm, häng ihn hier auf. Neben dem – andern da.« Marduk ließ sich zehn Schritt führen. Da war eine Eiche. Von einem knorrigen Ast hing ein kurzer Strick herunter. »Hierher ist er gegangen, Marduk. Ich weiß nicht wann. Ich lag noch bewußtlos in dem Haus. Er soll am Haus nach mir gefragt haben. Und nach dir. Du – warst auf der Flucht. Ich konnte nichts sagen.« »Er hat sich – erhängt.«
Ihre klangreiche ruhige Stimme: »Er sprach bevor ich wegging, von dir. Und von seiner Mutter. Darum ist er zu dir gekommen. Er sagte, er könne dich nicht lassen. Er ist in den Wald gegangen, als du ihn nicht annahmst.« »Wie sah er aus, als man ihn fand?« »Ich weiß nicht genau. – Ich habe sein Gesicht noch gesehen. Es war – Marduk, Marduk, – als wenn – ein Mensch – im Feuer brennt.« Ihre Schultern zuckten, sie stieß wieder die hohen Töne aus: »Er brannte. Es ist wahr. Ich konnte ihm nicht helfen. Ich habe ihm nicht geholfen. Hätte ich ihm doch geholfen. Und du.« Marduk stand still. Er hatte die Augen geschlossen.
Den Gürtel hielt er in der Hand. Als er die Augen geöffnet hatte, hatte er einen gebundenen zärtlichen Ausdruck. Er schlang den Gürtel um den Ast, seine Muskeln waren ganz fest, die Augen hielt er starr auf den Strick, die Finger hielt er zusammengekrampft. So stand er. Als er den Mund öffnen konnte, flüsterte er mit noch unbeweglichen Augen: »Und jetzt ist alles vorbei, Jonathan. Jetzt ist es vorbei.« Er wiederholte es tonlos. Den Hals konnte er bewegen, das starre Gesicht Elina zuwenden. Da fiel er gegen ihre Schulter. Sie hielt ihn mit ihrem rechten Arm, drängte sich mit der Brust gegen ihn. Er sank sank gegen ihre Brust; sie mußte sich anstrengen, den weichen absinkenden Körper
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