Berge Meere und Giganten (German Edition)
hochzuziehen. Er war wie ein Schlafsüchtiger.
Sie ließ ihn vorsichtig auf die Erde herunter, sein Rumpf hielt am Stamm des Baumes nicht aus, streckte sich lang neben den pendelnden Armen auf den eisigen Waldboden. Schwer lag er. Atmete gleichmäßig, seine Züge lose weich. Elina neben ihm kniend sprach ihm zu. Dann öffnete er die Augen; die blickten ins Leere. Sie stützte seinen Kopf, rückte seine Kappe zurecht. Er ließ sich hochziehen, ging gleich. Sie führte ihn.
Sie kamen zu der Wiese. Der Mann mit dem Hund stand noch da. Stumm gingen sie über dem knackenden Eis an ihm vorbei. Kein Wort sprach Marduk, der noch zu schlafen schien, zu Elina, die seinen linken Arm festhielt. Die Reihe der demolierten Häuser. Der Mann mit dem toten Hund schurrte hinter ihnen.
Wie sie um den Schutthaufen vor Elinas Hause gingen, sprang der Mann warnend vor sie, stellte sich vor Marduk: »Wohin gehst du?« Der sah ihn suchend lange an: »Warte hier draußen. Warte auf mich.« Sehr langsam stieg er die Stufen hinauf, Elina hinter ihm.
Lange Minuten schwieg Marduk auf der Polsterbank an der Wand. Er schien, den Kopf zurückgelegt, immer wieder einzuschlafen. Der Kopf sank ihm auf die Schulter. Dann suchten seine großen Augen sie. Sie saß seitlich von ihm am Fenster. »Du, Elina.« »Was, Marduk?« »Was tust du, was tust du hier?« »Ich wohne hier.« »Es wohnt sich hier nicht schön.« Er suchte einen Gedanken: »Der Schutt liegt so hoch. Es ist kalt. Sehr kalt ist es. Der Winter hört nicht auf. Was tust du eigentlich hier, Elina.« »Ich wohne hier.« »Du wohnst hier. Du müßtest hier nicht wohnen. Du müßtest das Haus abbrechen lassen. – Jonathan ist tot. Also auch. Das war ein schöner Jüngling, den ich kannte. Und du hast ihm verziehen, Elina. Du hast ihm verziehen.« Sie sah fragend zu ihm herüber. »Du hast ihm verziehen. Sag’ ja.« »Ich hatte nichts zu verzeihen.« »Er wußte nicht, was er tat, bevor er starb. Als er dich wegschickte.« »Er hat mich nicht weggeschickt.« »Doch. Du sagtest, – sagtest du nicht, er ist allein gestorben.« »Ja.« »Dann hat er dich doch weggeschickt.« »Nein.« »Er wußte nicht, was er tat, Elina.«
»Er hat mich nicht weggeschickt.« Marduk hob den Hinterkopf von der Wand ab, unsicher: »Du bist doch zu mir gekommen. Bist du nicht –?« »Ja. Du hast mich dann ins Gefängnis gesteckt.« »So bist du doch zu mir gekommen.« »Ja, aber er hat mich nicht weggeschickt.« »Und was ist dann geschehen?« »Ich – bin – selbst fortgegangen.« »Von ihm? Wie er – wie sagtest du noch – wie er brannte? Bist du fortgegangen. Nein, Elina, das sagst du nur.« »Ich bin fortgegangen, Marduk. Ich sag’ es dir. Ich verberg es nicht.« »Du hast ihn verlassen« er stierte sie an. Jetzt bebte sein Mund. Er stützte die Arme auf die Knie. Er hob beide Arme über sich: »Das hast du ihm angetan. Du hast ihn verlassen. Wider seinen Willen.« Sie knirschte: »Ja.«
Ihre Finger krallten sich, ihre Augen funkelten zu ihm herüber; in Grimm und Schmerz war ihr Mund verzogen: »Hätte ich es nicht getan! Hätte ich es nicht getan.« Ihre Füße stießen sie hoch; sie drängte an die Tür, preßte sich an den Pfosten, stöhnte zum Boden: »Weißt du, Marduk. Weißt du. Es ist gut, daß das Haus feststeht. Und daß ich kein Riese bin und es umreißen kann. Ich würde es jetzt machen. Ich würde, ich müßte das Haus anfassen, und – und – umreißen. Und über mich schütten. Über mich. Und – über dich – auch.« Sie griff in das Holz des Pfostens. Er sah ihr rasendes Gesicht an, sie schluchzte: »Hin. Hin.«
Dann lief sie in kleinen Schritten, immer wieder anhaltend, in das weite Zimmer.
Marduk fühlte, wie ihn etwas hochschob. Eine ferne Angst zuckte pucherte über sein Herz. Er wankte hinter ihr her, er mußte hinter ihr herwanken. Ungleichmäßig, traumbefangen atmete er. Der Schlaf in allen seinen Bewegungen. Wollte sich nicht ein alter wohlbekannter Schleier über ihn legen. »Lauf mir nicht weg, Elina. Warum tust du das. Ich bin kein Mörder. Ich habe, habe keine Waffen. Ich tue dir nichts. Halt einen Augenblick still. Ich komme nicht mit. Damit ich dich sehen kann. Ich tu dir nichts. Lauf nicht. Ich muß dir etwas sagen. Du mußt mir etwas sagen. So. Du stehst. Du stehst, du. Setz dich. Ich kann nicht stehen.« In ihm klirrte es ganz dunkel. Scheiben einer Stadt bei einer fernen Schlacht. Aber es hielt nicht an. Es war wie hinter einem Berg. Es wurde keine
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