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Berge Meere und Giganten (German Edition)

Berge Meere und Giganten (German Edition)

Titel: Berge Meere und Giganten (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alfred Döblin
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Qual.
    »Laß mich dein Gesicht sehen, Elina.« »Was willst du von meinem Gesicht.« »Ich muß dein Gesicht sehen.« In ihm klirrte es nicht mehr. Er fühlte die Ruhe seiner Muskeln, die abweichende Beängstigung, die tiefe fast drückende Besänftigung seines Herzens. Wie sanft der Schlaf war, der sich über ihn ausbreitete. Er nahm ihn hin; er wehrte sich nicht gegen ihn. Er konnte neben ihr sitzen. Er konnte neben ihr sitzend, die ihm den Rücken zuwandte, träumen. Es träumte in ihm: »Ich habe schon einmal bei dir gesessen, Elina. Auf meiner Burg. In der Stadt. Ich war Konsul. Wenn du dich an mir rächen willst, tu es. Ich kann es nicht verhindern. Lehne dich an mich. O lehne dich an mich.« Sie drehte sich langsam um. Tief erzitternd murmelte sie: »Warum? Warum soll ich mich an dich lehnen.«
    Und dann beugte sie ihren Kopf gegen seine Brust, zitterte und stöhnte stärker. »Lehn dich an mich, Elina.« »Ich kann es nicht, Marduk. Warum soll ich mich an dich lehnen. Ich kann, ich kann dich – ja – umfassen.«
    Und preßte sich an ihn. Drückte seinen Kopf von rückwärts an ihren. Er unverändert hielt sie schlaff, blinzelte in ihr Haar: »Das tust du. Das tust du.« »Das – ja jetzt. Und du bist da. Du läßt dich von mir umfassen.« »Ich will nicht. Es hat keinen Sinn.«
    »Hab Gnade mit mir, Marduk. Blick mich an.« Es war schwarz über seinen Nacken und seinen Kopf heraufgelaufen. Sein Gehirn wurde von einer dichten, immer dichteren Schwärze erfüllt. Seine blassen Lippen sprachen halbbewußte Worte: »Zum Fenster hinaus. Ich bin zum Fenster hinausgesprungen. Halt mich. Fest. Ich falle.«
    Sie schüttelte an ihm. Sein Körper war weich. Der Kopf lag auf ihrer Schulter. Sie fühlte, wie sie hintastete, Nässe auf ihrer Schulter. Es war geschehen, daß Marduk auf ihrer Schulter weinte.
    Sie konnte seinen Kopf nicht hochheben. Durch ihn träumte es: »Ich falle. Radspuren entlang. Einen Feldweg entlang.«
    Er bewegte sich. Richtete sich auf. Sie sah ihm in die weiten Augen. Er wußte, daß er auf ihrer Spur gewesen war seit dem Lager in Linden, seit er sie ins Gefängnis schickte.
    Sie hielt ihn ganz fest, studierte sein bartüberwuchertes erloschenes Gesicht. Hauchte dränge: »Marduk. Verzeihung. Sieh mich an.« »Ich sehe.« Seine harte Wange an ihrer, sein Hals gab weiter nach: »Versucherin.« »Nicht Versucherin. Ich bin keine Schlange. Hab Erbarmen mit dir. Hab Gnade mit dir. Du, mir dir.«
    Er machte sich los. Sah ihr gespannt in die Augen. Stand auf, stotterte tief erblassend, zu ihr herunterblickend: »Jetzt, jetzt, jetzt, – Elina! Jetzt falle ich um!«
    Und schwankte vorwärts rückwärts. Polterte, ohne einzuknicken, nach hinten über einen Schemel, riß ihn seitwärts mit sich hin. Er lag ausgestreckt am Boden, auf der Schemellehne. Tief bewußtlos. Sie zog den Schemel unter ihm weg. Hielt die Hand an seinen Mund; der warme Hauch kam. Fahl seine Backen, der Mund offen.
    Zum zweiten Male lag er da. Sie tastete unter seinen Kopf. Kein Blut. Die Mütze schob sie ihm unter.
    Sie hastete zusammenfahrend an die Tür, lauschte. Der Krieger stand draußen unbeweglich am Schutthaufen, er hatte nichts gehört.
    Und wie sie Schritt für Schritt zurückkehrte, ihn liegen sah, das graue bärtige Gesicht, den langen Körper im weißen Fell, auf der Diele ihres Hauses, warf sie sich, den Kopf zurückbiegend, die Arme aufhebend, in wilder überflutender Wonne auf ihn. Den Pelz riß sie von sich. Die Jacke, das Hemd riß sie von ihrer Brust, drückte die nackte Haut an sein kaltes feuchtes Fell. Eng preßte sie sich mit Leib, Armen, Beinen an ihn, umschnürte, überwogte ihn. Sie achtete nicht, was mit ihm war. Herzte seine Hände, deckte das Fell auf, küßte sein Knie. Sie öffnete zerrte den Pelz von seiner Brust. Küßte die Reihe seiner Rippen entlang, wühlte rieb ihre Brust gegen seine.
    Sie sprang glühend auf, an das Fenster. Das öffnete sie still rasch, nahm eine Hand voll Schnee, klemmte das Fenster zu, wärmte den Schnee an ihrem Mund, blies ihn an, rieb ihn, hinlaufend auf Spitzen, über Marduk kniend gegen seine Stirn Augen seine Lippen.
    Es war ihr eine zerreißende Süße, als er im Traum seine Lippen spitzte, an dem Schnee sog. Sie ließ ihn saugen. Hielt den Schnee in ihrem Mund. Er sog an ihrem Mund.

    NACH EINER Stunde schob sich Marduk aus der Tür, schickte den Mann weg. Er selbst ging langsam mit Elina die Straße hinter dem Mann. Es dämmerte. Die Wiese den Wald durchzogen

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