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Berge Meere und Giganten (German Edition)

Berge Meere und Giganten (German Edition)

Titel: Berge Meere und Giganten (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alfred Döblin
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fett? Bin ich ein Mensch? Muß ich jetzt verenden? Ich will sterben, ich möchte nicht so leben. Ich verfluche mich, wenn ich mich jeden Morgen sehe. Wer hat mich so gemacht? Ich selbst. Ich selbst. Ich habe es nicht besser gewußt. Die Herren in den Städten wissen was sie tun. Sie sind die Bösen. Die Bösen an mir, an allen. Vor Jahrzehnten haben sie einen Krieg gemacht. Jetzt führen sie Krieg gegen mich. Und sagt, ob sie nicht siegen und böse sind. Böse sind sie. Böse sind sie.« Die Frau stammelte, lag bei einem Siedler auf dem Boden, schluckte grünes Gras: »Wären wir alle in die Erde gesunken mit den Menschen, die in den Krieg zogen. Welches Leiden ist das. Wäre ich mit meinen Kindern in die Erde gesunken. Nichts bin ich. Nicht fruchtbar bin ich, nicht laufen kann ich, nicht greifen kann ich, nicht kann ich schlucken. Ich bin lebendig begraben. Ich schreie. Ich schreie.«
    Und doch wie die Menschen sich hinwarfen: ihre Angst war groß, sie könnten die Städte verlieren, müßten aus den Häusern heraus, man brächte ihnen keine Nahrung mehr, triebe sie, für den Tag selbst zu denken. Nicht mehr erregt zu Wildheiten wie die voruralischen Menschen waren sie. Sondern weich zärtlich frühreif gedankentief, von Empfindungen durchstrudelt, nach Reizen gierig, prunksüchtig demütig. Zur Anbetung, zum Dienen bereit, flatternd von Stunde zu Stunde, lecker, wollüstig am Leben hängend. Von Zeit zu Zeit liefen Vorstellungen über die Kontinente, die Verfolgungsideen waren, unter denen sich diese Menschen bogen, die sie entsetzt nachsprachen, nach einiger Zeit von sich abschüttelten, schreckhaft vertiefter als vorher.
    Und immer neue Menschen unter ihnen. Der Hang des afrikanischen Erdteils, seine Kinder herüberzuschicken nach Norden und Westen hatte nicht aufgehört. Der südliche Erdteil, der seine Häusersiedlungen fast vernichtet hatte, strömte Menschen aus wie die Sonne Wärme.
    Vom westlichen Afrika kamen damals die Menschen, die am tiefsten und eigentümlichsten in den Städten Europas wirkten. Das waren Fulbe aus der Gegend der Guineaküste, waren Mandarah Bagirmi Wadey Ibo Yoruba, kleine Pilgergemeinden aus Kordofan und Samoa. Sie waren von zierlichem Wuchs mit gewölbter hoher Stirn, großen offenen ausdrucksvollen Augen, rötlich braun bis zum Gelblichen die Hautfarbe, immer auf Taten aus, spielerisch wild, sonderbar gebrochene Charaktere, bald weich schmelzend, bald unnachgiebig. Diese waren in alle Städte rasch eingedrungen; ihre Anwesenheit gab dem ganzen Leben der Städte ein besonderes Gepräge. Bald wollte niemand den Glanz und die Munterkeit, die unbezwingliche Naivität dieser rötlichen und braunen Menschen entbehren, die sich gar nicht geneigt zeigten zu streiten. Sie hielten sich in Europa auf, als wären sie Regentropfen, die selbstverständlich da sind, waren betrübt über die Angriffe, versteckten sich für einige Zeit, kamen wieder hervor. Wie diese Männer und Frauen von Mandarah und Bagirmi zu singen und zu erzählen verstanden, war den Europäern unerhört. Die Lieblichkeit ihrer Erzählungen und Lieder schmolz alle Herzen. Sie sangen und sprachen wie vor vielen Jahrhunderten Gaukler und Spielleute im südlichen Frankreich und der Po-Ebene. Von Bäumen, vom Himmel, den Lüften, der Liebe zu Weibern, von kleinen Kindern, den Regenröhren, Hirschen, Tigern, Löwen, der Kälte und Wärme, Schlingpflanzen, bösem Zauber. Von Wasserfällen Pelikanen Krokodilen. Dazu von der Schönheit der großen Städte, in die sie eingetreten waren und die sie alle mit Namen benannten, was sehr sonderbar wirkte. Sie umgaben die Straßen Schaufenster Kostüme Automobile Flugzeuge elektrische und magnetische Apparate der Städte die Speisen mit Zärtlichkeit, brauchten für sie Ausdrücke, die den Städtern zuerst lächerlich erschienen, weil man solche Worte nur an verschollene Dinge zu richten pflegte. Aber ihre Art enthielt süße Lockung. Man ließ sie ihr Herz auszwitschern. Sie waren eitel, überaus glücklich, wenn man ihnen Gelegenheit gab sich zu zeigen. Männer und Frauen strahlten vor Glück, wenn man ihnen zuklatschte. Dann waren sie nach einiger Zeit überall zu finden. Und wie sie überall grasartig ausgewuchert waren, hatten sie ein neues noch nicht faßbares Element in die klappernden, schon lahmen, noch brausenden heulenden maschinengewaltigen Weststädte getragen. Die Männer und Frauen, die die Technik fortführten, die Industrien leiteten, die stark zusammengeschmolzenen und

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