Berge Meere und Giganten (German Edition)
»Willst du mit mir in die Hütte gehen? Aber ich will nicht.« »Nur näher sollst du kommen.« »Aber was hilft es, Servadak.« »Mir hilft es. Mir hilft es, wenn du nur einen Schritt näher kommst.« »Ach, lieber Freund. Ich bin traurig, wenn ich dich sehe. Du bist so blaß. Und wie lange sind wir schon von Bedford weg.« »Ich bin schon hundert Jahre von Bedford weg. Als ich dich an der Kreideküste im Norden sah, waren die hundert Jahre um. Das war gestern. Oder heute. Heute hab ich dich zum ersten Male gesehen. Eben sehe ich dich zum ersten Male. Komm zu mir, Light-for-me.« »Ach, was rufst du nur, Servadak. Wenn ich auf mein Erbsenfeld gehe, bist du wie die Drossel da.« »Aber der Drossel antwortet eine andere.« »Ich antworte doch auch.« »Keine Drossel bist du. Nicht antwortest du mir.« Er streckte einen Arm nach ihr aus. Sie senkte den Kopf an den Stauden, weinte, zupfte an den Stöcken, lief langsam, dann rascher zu ihm, ließ sich von ihm, der vor ihr hinfiel, küssen, küßte ihn sanft auf Mund und Augen.
Er lockte sie wieder am andern Tag, wieder am andern Tag. Zart war sie immer da, braunschwarzes Kräuselhaar, das schlanke Figürchen, immer rege, leicht ermattend, der Blick erst schwach ergeben um Bäume Erden Menschen, täglich mehr wie die Herrin strahlend und offen. Sie trug die strenge Arbeitstracht der britischen Siedler, graue braune lange Jacke, schwarze Frauenhosen, lose, um die Knie und Knöchel gebunden. Als sie sich den bunten Foulard um den Hinterkopf wand, stand er unter dem Kirschlorbeer auf. »Ja, Servadak! Und dir bringe ich etwas. Eine bunte Jacke. Sieh doch, was sie für bunte Jacken tragen.« »Wer trägt bunte Jacken?« »Die Schlangen. Die Männer. Viele.« »Light-for-me, ich bin ja gar keine Schlange.« Sie erschrak, kam näher: »Sag das nicht, was sagst du. Wir sind es doch alle.« »Du weißt es selbst.« »Nein, nicht weiter sprechen. Ich will nicht hören. Mach mir nicht bange.« »Was willst du mir geben, ein Tuch? Eine Jacke? Wenn du willst, wenn sie von deiner Hand ist, will ich sie tragen.« »Ich dank dem Himmel, daß du willst. Ach Servadak, steh doch auf von dem Baume: du wirst nicht besser unter dem Baum. Du siehst blaß aus wie wenn du eben aus London gekommen wärst.« »Hundert Jahre bin ich aus London weg. Es ist nicht wahr, daß ich noch blaß bin. Ich arbeite, sieh meine Reben an, mein Licht.« »Ich bring’ dir die bunte Jacke.« »Und komm du!« Sie war bei ihm. »Was faßt du mich an, Servadak. Sollst deinen Kittel ausziehen. Sieh, das ist grüne Wolle. Gefällt sie dir? Sie ist schön. Ach wirst du aussehen.« »Ich werde gut aussehen? Zeig. So. Wie sehe ich aus?« »Gut, gut. Herrlich. Sieh dich doch selbst an.« »Ich will sie immer tragen.« »Nein, du darfst mich nicht immer anfassen. Ich muß dich doch betrachten. Bist du nicht schön. Wirst du mit mir morgen singen gehen?« Und sie führte ihn fröhlich durch seinen Acker, rief die Bohnenranken an, zeigte ihn dem Kirschlorbeer: »Jetzt wird Servadak dir untreu, Lorbeerbaum. Jetzt sitzt er nicht mehr bei dir. Er braucht Licht. Er will sich bewegen. Er muß stolzieren.« Sie führte ihn auf ihr Feld: »Das ist Servadak. Wie gefällt euch seine bunte Jacke. Ist sie nicht schön wie mein Foulard. Komm, ich setze dir eine frische Bohnenranke an den Hals. Nun Rankchen, was sagst du zu Servadaks Jacke?« »Gib mir die Ranke her.« »Laß sie doch an deinem Hals.« »Ich will sie in meine Hand nehmen. Sie ist von dir. Du hast sie gepflegt. Und wenn sie welk ist, halte ich sie zwischen den Handtellern und bis in meine Schultern hinein lebt sie, nein lebst du.« Sie drehte aufseufzend den Kopf beiseite. »Was ist, mein Licht.« »Nenne mich anders.« »Du bist doch mein Licht.« »Nenne mich anders. Ich möchte Krokus heißen oder Lüftchen oder – ich bin Majelle, wie ich immer war.« »Du bist traurig.« »Ja, du magst meine Ranke nicht, Servadak, magst nichts. Ich nehme sie dir schon ab.« »Mein Licht.« »Sag Majelle zu mir. Du magst das Licht doch auch nicht.« »Oh!« »Oh. Ja, oh, Servadak, mein Nachtfalter. Oh bist du krank von London.« »Ich habe so viel, so viel Menschen entbehrt, Majelle. Jetzt habe ich dich. Sei mir nicht gram.«
Die braune Majelle blieb ganz für sich, kein Wort sagte sie bei den großen Zusammenkünften zur Diuwa, der Führerin dieser Gruppe der Schlangen. Oft kam Servadak, lud sie zu der Hütte ein; sie machte glücklich und traurig die Wanderung mit ihm. Wartete, ob
Weitere Kostenlose Bücher