Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Berge Meere und Giganten (German Edition)

Berge Meere und Giganten (German Edition)

Titel: Berge Meere und Giganten (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alfred Döblin
Vom Netzwerk:
Gebiet vorzugehen. Stochod konnte zur selben Zeit in London von der Befriedung des großen mitteleuropäischen Gebiets berichten, wo die mit ihm erschienenen Skandinavier und Italiener fassungslos von dem Schreckwesen sprachen, das ihr Gebiet heimsuchte.
    Auf dieser Konferenz in London waren Stochod und Arsen Yorre aus Lyon sich gegenübergetreten. Stochod mittelalterlich lockenwallend, in der bunten prächtigen Tracht seiner Zeit, mit Pelzmütze und steiler Feder, ein schwerer immer lachender Mensch, der, dem furchtbaren Treiben entrissen, von Späßen übersprudelte, mit seinen fleischigen Händen sich selbst Beifall klatschend, listig aus seinen gelblichen Augen blinzelnd. Er umarmte Yorre, den sehnigen aus Eisen gegossenen Südfranzosen, der in Frankreich begonnen hatte, was Stochod schon beendet hatte.
    Stochod sich dehnend brüllte von seinen einfachen Methoden. Sie standen im Nebel auf dem Balkon in der Downing Street. Das heraufknatternde Leben unter sich konnten sie nicht erkennen. Sie schworen sich Hilfe. Stochods Geliebte und Mitregentin, eine junge aalglatte Polin, schwarz umrahmtes mit einfachen Linien gezogenes Gesicht, ließ ihre Augen blitzen, als sie die beiden zusammenfand. Sie sah Yorre streng an; als sie aber eine Weile zugehört hatte, griff sie den Franzosen bei den Schultern an. Er ließ sich betasten und spannte seine Muskeln an. Sie konnte ihre Finger nicht von seinen Armen lösen; er klemmte ihre Hände an seinem Brustkorb fest, daß sie schrie. Sie ließ sich dann von ihm umarmen und auf den Mund küssen, hängte sich rasch wieder an Stochods mächtige Brust, der ihnen strahlend zugesehen hatte und ihren biegsamen schlanken Rücken unter freudigem Brüllen streichelte. Von Lyon aus warf Yorre in wenigen Wochen die zerstörerischen Fanatiker nieder. Vor Paris, wo sich die restlichen Banden eingeschlossen hatten, erschien er in einem märchenhaften Aufzuge. Er lagerte sich zehn Tage vor der Stadt. Die Fernwaffen von Paris konnten ihm nichts antun. Hinter ihm waren die Kenntnisse Londons Amerikas Deutschlands. Er ließ alle in seine Stellungen, die hereinwollten. In der Stadt Paris war die Tobsucht des Mordens und Selbstmordens nicht zum Stillstand gekommen; Yorre ließ sie ohne Bewegung sich ausrasen. Schauernd standen seine Massen vor der Stadt, hinter deren machtlosen Masten und magnetischen Riegeln das Feuer brannte, das von den Ebenen weggetrieben war. Draußen zuckte es in ihnen noch. Sie spannten die Muskeln an, drängten es herunter.

    UNTER DEM starren großartigen Zwang der Technik und ihrer bestrickenden Wirkung auf die Massen kam in der Mitte des fünfundzwanzigsten Jahrhunderts die Wasser- und Sturmlehre auf. Es wurde von einigen Köpfen der Masse, – unter ihnen besonders der Indianerabkömmling Surrur in Edinburg, ein Guato von Paraguay, und der Norweger Sörensen – hingewiesen auf die sehr große Zweckmäßigkeit und das fast maschinelle Zusammenarbeiten in den Tierstaaten. Hier folge jedes Tier einem ganz bestimmten Arbeitsdrang, der für alle nützlich sei, trage Halme zusammen, zerbeiße Pilze, baue Waben. Dies seien Dinge, die eine Gruppe und Arbeitskategorie gleichmäßig nach ihrer Kraft verrichtete, unpersönlich triebmäßig reflexartig. Man könne nicht sagen, daß der menschliche Zustand der Zersplitterung dem gegenüber einen Fortschritt bedeute. Es sei unrecht ein Privatleben zu führen und Individuen zu dulden. Sie führten aus, es genüge, wenn eine gewisse kleine Anzahl Menschen sich dazu hergebe, bestimmte Sonderfunktionen auszuüben, zu denken planen Personen zu sein. Im übrigen sei es im Interesse der Menschheit, für die ungeheure Masse einen gleichmäßigen Dauerzustand herzustellen, ihnen das doch nie ausgelebte Eigenleben zu nehmen, sie vegetativ einzuebnen. So garantiere man Gleichmäßigkeit und Glück des Einzelwesens. Und nur so. Denn sicher könne weder durch Lehre noch durch private Bemühung der Einzelne zu einem Glück kommen oder vor Unglück bewahrt werden. Sie wiesen auf das Fluktuieren, das bekannte ganz ziellose Schaukeln der Weltgeschichte. Die Ursache für dieses Hin und Her, das Aufsteigen und Abstürzen großer Reiche, blühender Zentren liegt in der guten Absicht der Individuen und Völker, von sich aus etwas zu leisten. Die Massen sind aber zerspalten in Schichten Parteien bis herab zu Einzelpersonen; einiges gelangt zu dem, einiges zu dem, man versteht sich nicht, bekämpft sich, das ist der Keim des Untergangs. Die Einebnung zu

Weitere Kostenlose Bücher