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Berge Meere und Giganten (German Edition)

Berge Meere und Giganten (German Edition)

Titel: Berge Meere und Giganten (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alfred Döblin
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sie aufkläre. Sie hatten, von dem rauhen Frühlingswind umweht, das Gefühl, als ob sich von Zeit zu Zeit neben ihnen, an ihrer Schulter, hinter ihrem Rücken etwas bewegte. Suchten, fanden nichts. Sie setzten sich bald zusammen, bald auseinander. In der Luft war etwas Eigentümliches von der Schärfe eines dünnen Rauches. Aus den Bäumen schien Hitze zu steigen; die Bäume fühlten sich an einigen Stellen warm an. Beunruhigt wandten sie ihre Aufmerksamkeit auf die Bäume. Wie sie die Köpfe an die Rinden legten, schnurrte surrte summte es drin. Das waren die Säfte; es war Frühling. Nur war es merkwürdig, wie scharf es sich im Mark und im Holz bewegte. Verwundert ließen sie das Ohr nicht von den Bäumen, horchten da und da. Es zischte in manchen Bäumen, als ob sie kochten. Ohne daß einer den Baum berührt hätte, fiel ein begrünter Ast herunter. Ein kleines Fauchen gab es oben, als ob Säfte sich entleerten. Der scharfe Geruch, der feine dünne, wurde stärker an diesem Stamm; sie konnten sich in seiner Nähe nicht aufhalten. Der Geruch war stechend wie Ammoniak.
    In ihrer Unruhe kamen einige auf den Einfall, sich gegen die Bäume zu wehren und sie umzubrechen; es war eine junge Pflanzung. Sie gingen ein zwei Bäume an, zerrten stießen an den Stämmen; einer kletterte hoch, riß brach große Äste ab, entlaubte den Baum, fiel plötzlich betäubt rücklings auf den Boden über das Laub. Der Baum atmete in Stößen einen heißen Dampf aus. Man schleppte den Bewußtlosen davon, zog sich zurück. Marduk erschien nicht. Man schob ihnen gegen Abend in Körben Nahrung und Getränke herüber über die Drahtspitzen der Mauer. Sie schliefen ein.
    Gegen vier Uhr früh, als es hell wurde, suchten sie einander, wunderten sich. Der Wald war so dicht geworden, der Weg zwischen den Stämmen so eng. Die Bäume hatten ihre Massen unförmig verbreitert. Sie konnten kaum zu zweien zwischen den Bäumen gehen. Ein surrendes Geräusch, ähnlich dem von gestern, hatten sie in den Ohren. Sie zweifelten, woher es kam; die Bäume wagten sie nicht zu berühren. Man konnte, obwohl von oben deutlich Morgenlicht hereinfiel, in der Nachbarschaft Hähne krähten, die unterirdisch laufenden Wagen polterten, wenig rechts und links sehen. Ängstliches Stöhnen hier, Stöhnen da. Mancher entledigte sich seiner Jacke, seiner Bluse, um besser zu atmen. Es war sicher, der Wald wuchs. Während einige ohnmächtig lagen von Frauen und Männern, die geängstigten anderen suchend gedankenlos über sie herstiegen, während allen die Knie zitterten und sie sich durch das Dikkicht wanden, wie in einem Keller sich zurechttasteten, schrien an der Mauer welche den Namen Marduk: »Erbarmen, Marduk!« Einige suchten immer von neuem die Gänge, die sich von Stunde zu Stunde verengerten. Manche sogen an den Fingern Beeren, kauten spien Blut aus.
    Um neun Uhr morgens, als schon blendend hell die Sonne schien, dieselbe Sonne, die über den Schiffen im Atlantischen Ozean, über dem weiten Ozean leuchtete, dieselbe Sonne, die ganz nah in Bernau über den Sandplätzen der Kinder stand, da gellten wahnsinnige Hilferufe, nicht abbrechend, in dem Park, wildes Wehgeschrei, als hätten Tiere einen Menschen angefallen. Die meisten sanken im Augenblick mit weißen Gesichtern auf den Boden. Die in der Nähe des Geschreis streckten die Hälse; im Halbdunkel sahen sie etwas zappeln, mit den Beinen stoßen. Füße, um die ein Rock wogte. Eine Frau; oben saß sie fest; ihr Arm wie eine Planke am Ellbogen, am halben Ober- und Unterarm festgeklemmt zwischen zwei zusammengeifernden Bäumen. Sie stand an den drängenden schwellenden Wesen, mit dem Rücken gegen sie, suchte ihnen auszuweichen, bog sich, ihr Rock saß unten fest, sie wand sich, heulte klagte brüllte: »Kommt her. Kommt. Ein Messer.«
    Der Wald knackte unaufhörlich. Die unten standen lagen liefen sich zusammendrängten auflösten, wurden überspritzt von der klebrigen leimartigen Feuchtigkeit, die wie Schleimpatzen aus Vogelschnäbeln auf Gesichter und Hände fiel, oft fein wie aus Röhren sprühte. Zu dem Knistern trat immer wieder ein Sausen und Sprudeln, wie aus einer geöffneten Flasche, das zuletzt erstickte. Die Bäume verschränkten Ast in Ast, verschoben sich umeinander. Die Dunkelheit nahm zu. Ein Dach, eine hölzerne Decke bildete sich langsam über den Menschen. Der Wald verdichtete sich zu einer engen, immer engeren Kiste, von deren Deckel es heruntersickerte. Die Luft gärend bitter muffig, mit Schwaden

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