Bergisch Samba
finden.«
»Und während Sie sich mit dem Kind beschäftigt haben, war niemand auf der Straße? Niemand kam vorbei?«
Er schüttelte den Kopf. »Ich glaube nicht. Es war ja nur ganz kurz. Ich bin sofort zurückgerannt.«
Ich malte mir die Szene weiter aus. Wie das Kind einsam auf der nächtlichen Straße lag. Wie Grundmann sich darüber beugte. Eine Information fehlte mir.
»Tun Sie mir einen Gefallen?«, fragte ich.
»Noch einen? Hören Sie, ich möchte jetzt eigentlich ganz gerne wieder hinaufgehen.«
»Das verstehe ich. Aber geben Sie mir bitte noch fünf Minuten.«
»Wofür?«
»Ich will sehen, wo genau das Kind gelegen hat.«
»Aber das hat doch die Polizei aufgenommen. Es wurden Fotos gemacht.«
»Trotzdem. Es ist wichtig.«
»Soll das heißen, Sie wollen mit mir in die Potsdamer Straße fahren? Jetzt?«
»Wir müssen zu Fuß gehen. Ich habe den Wagen gegenüber vom ›Luzifer‹ geparkt.«
Grundmann stöhnte. »Lassen Sie uns das morgen machen, okay? Ich habe erst nachmittags Dienst, und wir könnten gleich morgens …«
»Bitte! Es sind keine fünfhundert Meter bis dahin. Ich bringe Sie auch im Auto zurück.«
Er blickte kurz nach oben. Wahrscheinlich überlegte er, ob er noch mal raufgehen und Bescheid sagen sollte. Vielleicht dachte er auch darüber nach, ob es nicht besser war, sich etwas Richtiges anzuziehen.
»Warten Sie einen Moment.«
Er ging kurz nach oben. Als er wieder herunterkam, trug er immer noch den Trenchcoat, aus dem die nackten Beine herausragten. Dafür hatte er einen Schirm dabei. Das wäre kaum nötig gewesen, denn als wir das Haus verließen, hatte der Regen schon wieder aufgehört.
Wir legten den Weg schweigend zurück. Grundmann stoppte genau an der Stelle, wo am Ende der Poststraße der Asphalt mit weißen Pfeilen für die Abbieger markiert war. Die Stelle wurde von Straßenlaternen beleuchtet.
»Hier hat das Mädchen gelegen«, sagte er. »Mitten auf der Straße.«
Ich sah weiter in die Straße hinein. Hinten waren die Leuchtschilder des »Luzifer« zu erkennen, und noch weiter weg sah man Lichter vorbeitreiben. Der Verkehr auf der Konrad-Adenauer-Straße.
»Gehen wir noch ein Stück«, bat ich Grundmann und erwartete eigentlich Widerstand, aber er folgte mir.
»Und dieser Fall ist wirklich bis heute nicht aufgeklärt worden?«, fragte er.
»Nein. Die Polizei ist keinen Schritt weitergekommen. Man hat noch nicht mal Verwandte oder Bekannte des Mädchens auftreiben können.«
»Das ist ja eigenartig. So ein Kind kann doch nicht aus dem Nichts kommen. Irgendjemand muss es doch vermissen.«
»Müsste. Aber es gibt keinen Hinweis.«
»Vielleicht war es das Kind von Einwanderern? Von illegalen Ausländern? Oder vielleicht haben es Menschenhändler hergebracht?«
»Kann sein.«
»Hat die Polizei irgendwie feststellen können, ob das Kind aus dem Ausland war?«
»Sie haben es ja gesehen. Es hatte weiße Hautfarbe und keine Schlitzaugen, wenn Sie das meinen. Ansonsten müssten Sie selbst wissen, dass die Medizin keine Möglichkeit hat herauszufinden, ob ein totes Kind die russische, französische, englische oder polnische Staatsbürgerschaft besitzt.«
»So habe ich das nicht gemeint«, sagte Grundmann, und ich bemerkte eine leichte Verärgerung. »Aber es gibt ja heute bei den genetischen Untersuchungen die tollsten Möglichkeiten.«
»So toll scheinen die nicht zu sein.«
»Na ja, sicher - wenn man keine Vergleichsdaten hat…«
Ich stoppte an der Ecke, wo das »Luzifer« lag.
»So, Herr Grundmann. Ich bitte Sie jetzt, sich den Abend vom April genau vor Augen zu führen. Jede Kleinigkeit ist wichtig. Jede.«
Er nickte. »Okay.«
»Tun wir so, als wäre es der bewusste Abend. Wiederholen Sie, was Sie damals getan haben. Sie sind aus dem ›Luzifer‹ gekommen. Wo haben Sie da drin gesessen?«
»An der Bar.«
»Eigentlich sollten wir jetzt reingehen, und das Ganze auch da anfangen.« Ich blickte auf seinen unvollständigen Aufzug. »Aber das lassen wir lieber.«
Er sah mich dankbar an.
»Gut. Sie sind also aus der Kneipe rausgekommen. Und dann?«
»Dann bin ich in Richtung Cronenberger gegangen. Wo wir gerade herkamen.«
Wir drehten uns um. Schon von hier aus konnte ich hinten die Einmündung sehen. Die Pfeile auf dem Asphalt waren im gelben Straßenlampenlicht zu ahnen.
»Was haben Sie gesehen, als Sie aus der Kneipe gingen?«
»Na, diesen Ausblick hier - was sonst?«
»Mir geht es darum, wo Sie genau waren, als Sie das Kind wahrnahmen, verstehen
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