Bergrichters Erdenwallen
aber ein Sturm, der jedes Lebewesen vernichten will, und wild heranbraust. Wind und Schneetreiben ringsum, so dicht und vehement, daß der erschöpfte Wanderer die Augen schließen muß. Pater Ambros zieht den Buben fest an sich, just in dem Augenblick, da der kleine Zacher ohnmächtig zusammensinkt.
Ratlos, zu Tode erschöpft, steht zitternd und keuchend der Pater im Schnee. Wohin nun? Wo Rettung finden? Der Blick verwehrt nach oben wie nach unten, ein wirbelndes, weißes Chaos ringsum. Hier steckenbleiben, heißt sterben. Die Gefahr ist da, der weiße Tod lauert auf zwei Opfer. Keine Hilfe! Rufen und Schreien verschlingt der tosende Sturm, es wäre auch unnütz, ohne den Wind, denn in dieser Wildnis ist kein Mensch zu treffen.
Den Pater dauert der Bub, der sein junges Leben lassen muß in der Schneewüste. Doch was gethan werden kann, soll geschehen. Ambros reibt des Buben Schläfe mit Schnee ein, netzt dessen Lippen mit Schneewasser, das er in den geballten Händen erzeugte, und nach langem Bemühen schlägt der Knabe die Augen auf: „Hoam möcht' ich!“ wimmert er.
„Ich auch!“ meint der Pater. „Aber zuerst müssen wir schauen, aus dem gefährlichen Schneeloch zu kommen!“
Der Sturm läßt etwas nach, das Schneetreiben wird schwächer, so daß ein Umblick möglich ist.
Ambros erkennt in der Nähe ein Lebewesen, das mit Aufbietung aller Kräfte dem fesselnden Schnee zu entrinnen sucht. Ein Hirsch ist's, der seitlich durch den tiefen Schnee ausbrechen und einen schützenden Ort oder den Wald erreichen will. Der Hirsch zappelt und sinkt bis an die Lauscher ein, er arbeitet sich aber wieder hoch, durchrinnt dünnere Lagen, sinkt in eine Wächte und steuert endlich nach rechts hinüber.
„Ihm nach!“ flüstert der Franziskaner. Der tierische Instinkt wittert gewiß einen Schutzort und diesen sucht der Pater gleichfalls zu erreichen.
Eine gräßliche Wanderung ist es, bis Ambros, der den Buben hinter sich zieht, die breitgeschlagene Hirschfährte erreicht, auf welcher er nun gleichfalls alles durchmachen muß, wozu der Hirsch gezwungen war. Einsinken, herausarbeiten, wieder einfallen und emporklettern. Der Schnee dringt in die Habitärmel, am Halse ein, naß und klebrig sind die Füße, der um sein Leben kämpfende Priester schwitzt und dampft vor Überanstrengung, und kaum hält er inne, erschauert der Leib vor Kälte. Der Bub wimmert vor Frost.
Endlich gelingt das schwere Werk. Auf der Hirschfährte weiterstrebend, erreicht Ambros eine Breitfläche, an deren oberen Ende eine tiefverschneite Almhütte liegt, von Hochwild umstanden, das aus den Fugen und Ritzen des Futterstadels gierig Strohhalme und Heufäden zieht.
Plötzlich erdröhnt ein Schuß, ein Hirsch wird hoch und fällt nach kurzer Flucht, schlegelnd sinkt er in den Schnee. Aufstäubend jagt das Rudel davon.
Vor Schrecken ist Pater Ambros tief eingesunken und mühsam arbeitet er sich aus dem Schneeloch heraus. Wer wohl geschossen haben mag? Berufsjäger schießen nicht auf hungerndes Wild am Futterplatze; es wird ein Wilderer sein. Doch gleichviel, ein Mensch ist hier oben, ein Mensch, der Erbarmen haben muß mit einem todesmatten Priester und dem ohnmächtigen Kinde.
„Hilfe!“ ruft der Pater, und blitzschnell verschwindet die Gestalt im Walde.
„Hilfe in höchster Not! Ich bin's, der Einödpater!“
Jetzt erst findet sich die Gestalt mit geschwärztem Gesicht bewogen, näher zu kommen, und wie der Wilderer das Ordenskleid erkennt, watet er völlig heran, und hilft dem Pater.
„Verrat' mich fein nicht!“ flüstert er Ambros zu.
„Gewiß nicht! Bring' nur erst den Buben in die Hütte!“
Der Wilderer nahm den Zacher auf die Schulter und trug ihn zur Hütte, wo er den Kleinen mit Schnaps labte und zum Leben brachte.
Mittlerweile hat sich auch der Einödpater heraufgeschleppt, und völlig ermattet nahm er Platz am Herd.
„Nimm einen Schluck Birenen (Moosbeerschnaps), Pater, seller thut dir oh (auch) gut!“
Wie das erquickte!
Nach kaum halbstündiger Ruhe bat der Priester jedoch um das Geleite des Mannes zum Zacherhof, wo der Jochbauer im Sterben liege.
„Sell geaht heunt nimmer! Ischt ja schon völlig Nacht 'worden!“
„Ich muß hinüber, dem Sterbenden die heilige Wegzehrung bringen!“
„Ah so wohl. Hast aftn auch die Hostien bei dir?“
„Red' nicht lang' und hilf mir hinüber zum Zacher!“
„Sell geaht nit! Es ischt schon zu spät, der Schnee zu tief, wüßt' frei selm nit hinüber in der Nacht! Mußt ihn
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