Bergrichters Erdenwallen
offengelegtes Gestein. Ein trostloser Anblick für den Cementmann.
Hundertpfund starrt gleichfalls betrübt in das Riesenloch und trostlos klingt seine Frage. „Sollen wir wirklich im Stollenbau weitere Versuche machen?“
„Wir müssen! Doch hab ich selbst jetzt keine Hoffnung mehr! Lassen Sie aber gleichzeitig im Halberge bohren und sprengen.“
Ratschiller erledigte im Fabrikgebäude noch einige Geschäfte, so müde und niedergeschlagen er sich auch fühlte.
Unterdessen war es Abend und dunkel geworden. Der Chef entschloß sich zur Heimwanderung und zwar über den Bergsattel, wiewohl Hundertpfund davon abriet, denn der Weg sei steinig, die Brücke über den Bergbach in schlechtem Zustand.
„Ach was, Unsinn! Wie oft in meinem Leben bin ich doch schon über den Sattel gegangen!“ rief Ratschiller aus.
„Dann möchte ich noch sagen, es ist in letzter Zeit ein herabgekommenes Individuum hier in der Gegend gesehen worden, dessen Herumschleichen mir verdächtig erschien. Erst gestern abend sah ich den zweifelhaften Burschen beim Schnaps oben am Eibenberg-Wirtshaus hocken, gemieden selbst vom schlechtesten unserer Arbeiter. Wenn Sie erlauben, will ich Sie bis zur Sattelschneide oder zur Kapelle auf der anderen Seite begleiten.“
„Sie wollen mich wohl gruseln machen? Ich danke! Seit reichlich zwanzig Jahren gehe ich den einsamen Weg und noch niemals ischt etwas, auch nicht das Geringste passiert! Und dann bin ich immer noch Mann und stark genug, um es mit jedem Strolch aufzunehmen. Nein, nein, verschimpfieren Sie mir unser ehrliches Tirolerland nicht! Ein Raubanfall in Tirol? Unsinn! Schier könnte ich das als Beleidigung auffassen! Sie sind kein Tiroler, deshalb glauben Sie an eine solche undenkbare Möglichkeit! Gute Nacht!“
Langsam entfernte sich Ratschiller und schritt längs der Gebäulichkeiten dem Pfad zu, der in vielfachen Windungen auswärts dem waldigen Sattel zuführt. Da es nun sehr rasch dunkelte, konnte der Fabrikleiter den Aufstieg seines Chefs nicht weiter verfolgen. Achselzuckend begab sich Hundertpfund ins Gebäude, um für die Nachtschicht, sowie für morgen vorzunehmende Sprengungen Anordnungen zu treffen.
Die Seilbahn wurde außer Betrieb gesetzt über die Nacht. Die Brennöfen qualmten und sandten ihre brenzlichen Wolken zum nächtlichen Himmel. Wie lange noch?
Diese Frage fing für Hundertpfund gleichfalls an, bedeutungsvoll zu werden und seine Gedanken nahmen eine Richtung, die auf Erwerb einer neuen, sicheren Stellung hinausliefen. Hat Ratschiller keinen Stein mehr, so wird für den Fabrikleiter Fräulein Josephine auch bedeutungslos.
XII.
Ratschillers erwarteten das Familienoberhaupt zu Tische am Abend. Fräulein Emmy, die Braut des glücklichen Franz, weilte im Hause und ließ sich gern bestimmen, zur Abendmahlzeit zu bleiben.
Während das Brautpaar zärtlich plauderte und koste, deckte Josephine den Tisch, und Frau Ratschiller die würdige Matrone stand an einem Fenster, das einen Blick auf den vom Sattel herabführenden Feldweg gestattete. In der Dämmerung ist freilich nicht viel mehr zu sehen. Eine bängliche Unruhe erfaßte die alte Dame, welche sie sich nicht zu erklären vermochte. Sollte dem Papa Ratschiller ein Unglück zugestoßen sein?
In ihrer Sorge trat die alte Frau vom Fenster zurück und wie sie in den Lichtkreis kam, den die hellbrennende Hängelampe ausstrahlte, fiel es Josephinen auf, daß Mama entsetzlich bleich sei.
„Was ist dir, Mama?“ rief die Tochter und eilte bestürzt herbei. Die Matrone sprach fast ächzend: „Ich weiß nicht — mir ischt so bang! Franz, spring' hinunter ans Telephon und frage, wann Papa von der Fabrik weggegangen ischt. So spät kam er noch niemals nach Hause!“
„Gleich, Mama! Doch beruhige dich! Vielleicht hat man gesprengt und Papa wird sich länger als sonst verhalten haben!“ Eilig ging der junge Herr hinunter und sperrte die Komptoirräumlichkeiten auf, um zum Telephon in Papas Arbeitszimmer zu gelangen. Lange dauerte es, bis sich am Fernsprecher in der Fabrik jemand meldete und Hundertpfund Bescheid gab, daß Herr Ratschiller sen. längst die Fabrik verlassen und sich über den Sattel nach Hause begeben habe.
Ob dieser Meldung wurde nun auch Franz besorgt. Hastig begab er sich in die Wohnung hinauf, erstattete der Mutter Bericht und eilte dann fort, dem Vater auf dem Feldweg entgegen zu gehen. Die Angst im Kreise der Familie wuchs, je länger nun auch Franz verblieb, der bis an den Fuß des Berges lief und
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