Bergrichters Erdenwallen
nutzt! Muß decht ein Tropf g'wesen sein, seller Todter!“
Ehrenstraßer entließ schmunzelnd diesen Originalmenschen, der hastig davontrollte, und wandte sich dann zur Erledigung der Aktenstücke.
Nachmittags sprach der Richter im Hause des Bezirksarztes Bauerntanz vor, um sich nach dem Zustand der Doktorin zu erkundigen. Der Bezirksarzt konnte mitteilen, die Brüche sind eingerichtet, Gipsverbände angelegt, die Patientin ist bei Sinnen, die Gehirnerschütterung nicht so schwer, als anfangs befürchtet wurde, doch dürfe niemand vorgelassen werden.
„So besteht Hoffnung auf Wiederherstellung?“
„Möglich ischt es ja; das Gedächtnis ischt völlig verschwunden, meine Frau vermag sich an nichts zu erinnern, ich quäle sie selbstverständlich nicht mit weiteren Fragen. Wissen möchte ich aber, wie meine Frau auf den absurden Gedanken verfallen konnte, auf der Luftbahn eine Fahrt zu machen. Ob da nicht der Fabrikleiter dahintersteckt?“
„Zweifellos hat er die Gnädige dazu animiert.“
„Werde mir den Mann gelegentlich vorfangen!“
Weiter wollte Ehrenstraßer auf dieses Thema nicht eingehen, er empfahl sich unter Wünschen auf baldige Genesung der Doktorin. Der Sache auf den Grund zu gehen, ist der Richter fest entschlossen, er wittert etwas und vermag an einen Zufall nicht zu glauben. So kam es denn zu einer abermaligen Vernehmung; Hundertpfund wurde vorgeladen und erschien pünktlich, wenn auch in gedrückter Stimmung, in der Kanzlei des Gerichtsvorstandes. Ehrenstraßer, dem der Aktuar zur Protokollführung an der Seite saß, begann das Verhör ruhig — ernst mit der Frage, weshalb Hundertpfund die Dame zur Fahrt bewogen habe. Im verzweiflungsvollen Tone erwiderte der Fabrikleiter. „Verzeihen Herr Bezirksrichter: Ich kann diese Frage nicht beantworten!“
„Weshalb nicht?“
„Aus Gründen diskreter Natur!“
„Damit kommen wir nicht vom Fleck. Verweigern Sie die Antwort, so kann ich nicht an den von Ihnen behaupteten unglücklichen Zufall glauben!“
„Um Gotteswillen! Sie werden mich doch nicht für einen Verbrecher halten?“
„Um meine persönliche Meinung handelt es sich nicht! So lange nicht aufgeklärt ischt, ob die Möglichkeit der Absicht zur Herbeiführung des Sturzes besteht, ebensolange ischt der Verdacht gerechtfertigt!“
„O Gott, ich soll verdächtig sein!“ jammerte Hundertpfund.
„Es thut mir leid, doch kann ich es nicht ändern. Für das Gericht liegt der Fall zur Stunde ohne Ihre Aufklärung folgendermaßen: Sie unterhielten Beziehungen zur Dame, Sie lockten Sie hinauf, als Sie mutmaßlich des Verhältnisses überdrüssig geworden, —“
„Halten Sie ein! Ich kann dies nicht anhören! Nein, tausendmal nein! Sie verirren sich in Mutmaßungen!“
„So klären Sie die Sache auf! Oder ischt es Ihnen lieber, wenn ich nach erfolgter Gesundung die Dame vernehme?“
„Das wäre noch schrecklicher!“
„Ich muß aber klar sehen und erfahren, ob dem Falle Absicht zu Grunde liegt!“
„Sie wollen mich zu einer Indiskretion der Dame gegenüber zwingen!“
„Der Untersuchungsrichter darf übertriebene Rücksicht nicht üben!“
„Aber um Himmelswillen, ich kann doch nicht zugeben, daß öffentlich bekannt wird, was geheim bleiben muß.“
„Von einer öffentlichen Bekanntgabe ischt zunächst überhaupt nicht die Rede, es wird die Untersuchung durchgeführt. Ergiebt sich, daß der Verdacht hinfällig wird, so wird die Untersuchung geschlossen, und niemand erhält Kenntnis von den Aussagen der Vernommenen.“
Hundertpfund atmete auf. „So würde es ein Geheimnis bleiben, was unter vier Augen gesprochen wurde?“
„Unter sechs Augen! Der Aktuar muß die Aussage zu Papier bringen!“
„Dann bedaure ich, nichts aussagen zu können!“
„Die Folgen haben nur Sie selbst zu tragen!“
„Und welche würden dies sein?“
„Ihre Verhaftung und die Vernehmung der Dame nach ihrer Wiederherstellung!“
„Großer Gott! Wenn Sie nur glauben wollten, daß nur ein unglücklicher Zufall vorliegt. Unter vier Augen will ich Ihre Frage ja beantworten, um die Vernehmung der Dame unnötig zu machen!“
Ehrenstraßer gewährte diese Bitte und schickte den Aktuar auf kurze Zeit hinaus.
Nach Verlauf einer Viertelstunde war Hundertpfund entlassen, und der Richter teilte dem herbeigerufenen Aktuar mit, daß das angefangene Vernehmungsprotokoll vernichtet werden könne.
Verwundert blickte der Aktuar auf seinen Chef.
„Ja, ich habe mich geirrt! Seit vielen Jahren wieder
Weitere Kostenlose Bücher