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Berlin 1961 - Kennedy, Chruschtschow und der gefährlichste Ort der Welt

Berlin 1961 - Kennedy, Chruschtschow und der gefährlichste Ort der Welt

Titel: Berlin 1961 - Kennedy, Chruschtschow und der gefährlichste Ort der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frederick Kempe
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zuvorkommend und ließ Kroll ein Glas Krimsekt bringen. Während er selbst an einem leichten armenischen Rotwein nippte, erklärte der Sowjetführer Kroll, dass ihm seine Ärzte
Wodka und andere »schärfere Alkoholika« verboten hätten. Kroll schätzte diesen »intimen Gedankenaustausch« mit Chruschtschow. Dieser unterstrich in solchen Augenblicken ihre persönliche Nähe, indem er ihn an sich heranzog und während der gesamten Unterhaltung ganz leise sprach.
    Kroll wurde 1898, also vier Jahre nach Chruschtschow, in der oberschlesischen Stadt Deutsch-Piekar geboren, die im Jahr 1922 nach einer im Versailler Vertrag verfügten Volksabstimmung an Polen abgetreten werden musste. 18 Er lernte sein erstes Russisch, als er als kleiner Junge in dem Fluss angelte, der die Grenze zwischen dem deutschen Kaiserreich und dem Zarenreich bildete. Seine ersten beiden Jahre im diplomatischen Dienst verbrachte er von 1923 bis 1925 als Attaché in Moskau. Das Deutschland nach dem Ersten Weltkrieg und die junge kommunistische Sowjetunion waren damals in der internationalen Gemeinschaft immer noch weitgehend Parias. Folgerichtig durchbrachen sie ihre diplomatische Isolation durch den Abschluss des Rapallo-Vertrags, mit dem sie eine gegen den Westen und den Versailler Vertrag gerichtete Achse bildeten.
    Anfang der 1960er Jahre war Kroll der Ansicht, dass die europäischen Streitigkeiten nur durch eine Verständigung zwischen den Deutschen und den Russen, den auch laut Chruschtschow »beiden größten Völkern Europas«, 19 beendet werden könnten. Kroll hatte darauf hingearbeitet, seitdem er im Jahr 1952, also drei Jahre nach Gründung der Bundesrepublik, Chef der Abteilung Ost-West und des Interzonenhandels im bundesdeutschen Wirtschaftsministerium geworden war. 20 Seine diesbezüglichen Überzeugungen hatten ihn oft in Konflikt mit den Vereinigten Staaten geraten lassen, die immer noch befürchteten, dass ein zu inniges Verhältnis den Weg zu einem neutralen Westdeutschland eröffnen könnte.
    In den frühen Morgenstunden des Neujahrstages 1961 dankte Chruschtschow nun Kroll, dass er im vergangenen Herbst geholfen habe, dass Bundeskanzler Adenauer dem Abschluss neuer Wirtschaftsabkommen mit der kommunistischen Welt zugestimmt hatte. Dazu hatte auch die Erneuerung des Interzonen-Handelsabkommens gehört. Obwohl die DDR ein Satellitenstaat der Sowjetunion war, betrachtete Chruschtschow die Bundesrepublik als weit wichtiger für die sowjetische Wirtschaft, da sie ihm einen einzigartigen Zugang zu modernen Maschinen, den neuesten Technologien und dringend benötigten Hartwährungskrediten verschaffte.
    Der Sowjetführer hob jetzt sein Glas auf die »bemerkenswerte Aufbauleistung des deutschen Volkes«. 21 Danach sprach er jedoch die Hoffnung aus, dass Adenauer die wachsende wirtschaftliche Stärke der Bundesrepublik, die dadurch
auch »politisch von den USA unabhängig geworden« sei, dazu nutzen werde, sich etwas von Washington zu distanzieren und die Beziehungen zur Sowjetunion weiter zu verbessern.
    Kossygin bat dann um die Erlaubnis, einen eigenen Trinkspruch ausbringen zu dürfen. Er hob sein Glas und erklärte wörtlich: »Sie sind für uns der Botschafter aller Deutschen.« Er drückte damit auch Chruschtschows eigene Überzeugung aus, dass es für die Sowjetunion eigentlich weit besser wäre, die Westdeutschen mit all ihren Ressourcen zu Verbündeten zu haben statt der lästigen Ostdeutschen mit ihren ständigen wirtschaftlichen Forderungen und minderwertigen Gütern.
    Diese Nettigkeiten würzte Chruschtschow jedoch auch mit einer Drohung. »Das deutsche Problem muss 1961 gelöst werden«, teilte er Kroll mit. Er könne die amerikanische Weigerung nicht länger dulden, über eine Änderung des Berlin-Status zu verhandeln, die es ihm erlauben würde, den Flüchtlingsstrom zu stoppen und einen endgültigen Friedensvertrag mit der DDR zu schließen. Mikojan warnte Kroll, dass »gewisse Kreise« in Moskau ihren Druck auf Chruschtschow verstärkten, etwas in Berlin zu unternehmen. Der sowjetische Führer könne dem »nicht mehr allzu lange widerstehen«.
    Kroll nahm an, dass sich Mikojan auf die Kreise innerhalb der KPdSU bezog, die als »Ulbricht-Lobby« 22 bekannt waren. Diese Gruppe war von den stetig dringlicher werdenden Vorwürfen des ostdeutschen Staatschefs stark beeindruckt, dass Chruschtschow den ersten sozialistischen Staat auf deutschem Boden nicht mit dem nötigen Nachdruck unterstütze.
    Von all diesen sowjetischen

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