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Berlin 1961 - Kennedy, Chruschtschow und der gefährlichste Ort der Welt

Berlin 1961 - Kennedy, Chruschtschow und der gefährlichste Ort der Welt

Titel: Berlin 1961 - Kennedy, Chruschtschow und der gefährlichste Ort der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frederick Kempe
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sowjetischen Teil der Stadt gemacht hatte, Ostberlin sei »ein bewaffnetes Lager« mit einer Bevölkerung, die »völlig niedergeschlagen« wirke.
    Bei aller historischen Bedeutung des Augenblicks verlor Johnson nicht den anderen Zweck seiner Mission aus den Augen: Shopping.
    Um 5:30 Uhr am Sonntagmorgen weckte Lucian Heichler, der Begleiter aus dem US-Außenministerium, Johnsons Butler, um nach der Schuhgröße des Vizepräsidenten zu fragen, damit Brandt ihm die gewünschten Schuhe bringen konnte. Weil Johnson Füße mit unterschiedlicher Größe hatte und meist maßgefertigte Schuhe trug, forderten Brandts Mitarbeiter beim Besitzer des Schuhgeschäfts Leiser zwanzig verschiedene Paar Schuhe an. Daraus wählte er zwei Paare aus, die seinen Vorstellungen entsprachen.
    Am Sonntagnachmittag öffnete die berühmte Berliner Porzellanmanufaktur eigens für Johnson die Verkaufsräume, weil er am Abend zuvor das Chinaporzellan beim Festbankett im Rathaus bewundert hatte. Er sagte dem Regierenden Bürgermeister, dass er gern ein Service für seinen neuen Amtssitz in Washington, im Naval Observatory der Vereinigten Staaten an der Massachusetts Avenue, hätte.
    Dem US-Vizepräsidenten wurde ein Service nach dem anderen gezeigt, aber sie waren ihm alle zu teuer. Er fragte sich schon, ob sie womöglich »zweite Wahl« hätten. Während sein Begleiter Lucian Heichler noch nach einem Ausweg aus der peinlichen Lage suchte, rettete Vizebürgermeister Franz Amrehn die Situation, indem er erklärte, der Senat und die Bevölkerung Berlins würden Johnson das Service gern schenken.
    Johnson erwiderte überrascht: »Oh, na dann …« 50
    Anschließend suchte sich Johnson das erlesenste Chinaporzellan aus, das er finden konnte, ein Service mit sechsunddreißig Gedecken, und wies sein Büro an, die Insignien des Vizepräsidenten auf jeden Teller, jede Untertasse, Tasse und Schale malen zu lassen.
    Abgesehen vom Shopping war Johnson ganz elektrisiert von der Stimmung in Berlin. In einem Bericht mit dem Vermerk »Geheim« schrieb er an John F. Kennedy:
    Ich kehrte aus Deutschland mit neuem Stolz auf die Führungsrolle Amerikas zurück, aber auch mit einem bislang nicht gekannten Bewusstsein für die Verantwortung, die auf diesem Land ruht. Die Welt erwartet so viel von uns, und wir müssen den Erwartungen gerecht werden, auch wenn wir mehr Hilfe von unseren Verbündeten anstreben. Denn wenn wir scheitern oder schwanken oder uns drücken, dann ist alles verloren, und die Freiheit bekommt womöglich nie eine zweite Chance. 51
    Mit der Bestellung eines hochwertigen Service aus Chinaporzellan und zwei Paar Schuhen im Gepäck kehrte Johnson, nachdem er unbeschadet die Verstärkung von 1500 Mann in Berlin empfangen hatte, in die Staaten zurück.
    OSTBERLIN
DIENSTAG, 22. AUGUST 1961
    Ulbricht war viel zu sehr damit beschäftigt, seinen Sieg zu sichern, um sich selbst zu beglückwünschen.
    Sein fester Entschluss, den Status Berlins zu verändern, für den noch Anfang 1961 weder die sowjetische Billigung vorgelegen noch die Mittel zur Verfügung gestanden hatten, war erfolgreicher verwirklicht worden, als er es sich hätte träumen lassen. Er hatte ein schlechtes Blatt überaus raffiniert ausgespielt und hoffte jetzt, den Vorteil noch auszubauen.
    Am 22. August gab Ulbricht öffentlich bekannt, dass er ein Niemandsland deklarieren werde, das sich über einen hundert Meter breiten Streifen beiderseits der Mauer erstrecke. Ohne sowjetische Genehmigung erklärten die DDR-Behörden, sie würden das Feuer auf Westberliner eröffnen, wenn sie in die Pufferzone geraten sollten, die schon bald unter dem Namen »Todesstreifen« berüchtigt wurde. 52
    Vor Selbstvertrauen strotzend, wies Ulbricht einen Tag später sogar die Proteste des sowjetischen Botschafters Perwuchin zurück und verringerte die Zahl der Grenzübergänge, die Ausländer benutzen durften, von sieben auf nur einen: Checkpoint Charlie an der Friedrichstraße.
    Zwei Tage später bestellten Perwuchin und Konew Ulbricht zu sich, um ihn wegen dieser unilateralen Maßnahmen zu tadeln. Die Sowjets könnten, so Perwuchin, die Vorstellung eines Niemandslandes, das auf Westberliner Terri-torium
reiche, nicht akzeptieren, weil es »zu einem Zusammenstoß zwischen der Polizei der DDR und den Kräften der Westmächte führen könnte«.
    Bild 12
    Walter Ulbricht dankt den Männern der Betriebskampfgruppen dafür, dass sie sein Land vor der imperialistischen »Wühltätigkeit« beschützt haben.
    Also

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