Berlin 1961 - Kennedy, Chruschtschow und der gefährlichste Ort der Welt
hob Ulbricht diese Befehle wieder auf, wandte allerdings gegenüber seinen sowjetischen Gesprächspartnern ein, dass er keinesfalls die Absicht habe, sich in Westberliner Angelegenheiten einzumischen. Es fiel ihm nicht allzu schwer, sich auf diesen Kompromiss einzulassen, weil er mehr Befugnisse über Berlin erlangt hatte, als er sich zu Beginn des Jahres erträumt hätte. Er lehnte es jedoch ab, die Reduzierung der Grenzübergänge für Ausländer auf einen einzigen rückgängig zu machen. 53
Wie so oft im Jahr 1961 gestanden die Sowjets Ulbricht diesen Schritt zu.
FLUGHAFEN TEMPELHOF, WESTBERLIN
DIENSTAG, 22. AUGUST 1961
Schließlich kam auch Bundeskanzler Adenauer nach Berlin, aber erst zehn Tage nachdem die Kommunisten die Grenze in Berlin geschlossen und Vizepräsident Johnson und General Clay bereits die Stadt verlassen hatten. Nur
ein paar Hundert Menschen jubelten Adenauer zu, als er auf dem Flughafen Tempelhof landete, etwa weitere zweitausend erwarteten ihn, als er dem Notaufnahmelager Marienfelde einen Besuch abstattete. 54
Bild 13
22. August: Neun Tage nach der Schließung der Grenze lässt sich auch Bundeskanzler Adenauer in Berlin blicken. Dieses verspätete Auftreten brachte ihm heftige Kritik ein.
Viele Westberliner wandten sich demonstrativ von ihm ab, als er durch die Stadt fuhr. Andere hielten Tafeln hoch, die sein Verhalten in der Krise scharf kritisierten. Auf den Plakaten hieß es häufig: SIE KOMMEN ZU SPÄT; oder auch sarkastisch: HURRA, DER RETTER IST SCHON DA! In Marienfelde und an anderen Orten ging aus den Schildern deutlich hervor, dass die Wähler ihn wegen seiner schwachen Antwort auf die Schließung der Grenze abstrafen würden. 55
Als der Bundeskanzler an einigen Stellen entlang der Grenze die Mauer besichtigte, beschimpften Vertreter des Ulbricht-Regimes ihn von einem Lautsprecherwagen auf der Ostseite aus und verglichen ihn mit Hitler. Sie richteten sogar einen Hochdruckwasserschlauch auf ihn. An einer anderen Stelle weinten jedoch ältere Ostdeutsche und jubelten, während sie zum Gruß weiße Taschentücher schwenkten.
Adenauer stattete dem Medienzar Axel Springer einen Besuch ab, der sein
Zeitungsimperium unweit der Berliner Grenze errichtet hatte und dessen Bild- Zeitung Adenauer und die Ohnmacht der Amerikaner während der Grenzschließung am schärfsten kritisiert hatte. Der Kanzler hatte kein Verständnis für den Riesenwirbel, den Springers Zeitung veranstaltet hatte. »Was jetzt in Berlin geschehen ist«, sagte er zu Axel Springer, »ist der allererste Anfang einer Reihe weiterer Maßnahmen bis zur unmittelbaren Kriegsdrohung. Wenn die Dinge wirklich ernst werden, wohin wird sich dann die Nervosität der Deutschen und der Presse noch steigern?« Soll heißen: Kein Grund, einen solchen Rummel zu machen, denn das dicke Ende kommt erst noch.
Er warnte Springer sogar, dass die Mätzchen seiner Zeitung den Nationalsozialismus wiederaufleben lassen könnten.
Springer stürmte wutentbrannt aus dem Zimmer. 56
BERNAUER STRASSE, OSTBERLIN
MITTWOCH, 4. OKTOBER 1961
Die Berliner gewöhnten sich erstaunlich schnell an die Realität nach dem Mauerbau. Der Flüchtlingsstrom versiegte fast völlig, weil die Fluchtversuche riskanter und die Grenzkontrollen verschärft wurden. Immer mehr Westberliner zogen in die Bundesrepublik um – aus Furcht, dass der Hunger der Sowjets womöglich noch nicht gestillt war.
An der Bernauer Straße fuhren immer wieder Stadtbesichtigungsbusse vorbei, und permanent standen Dutzende von Berlinern auf der Westseite der Grenze herum und beobachteten, was sich in der Straße nach dem 13. August tat: die anfängliche Grenzschließung, die Umsiedlung der Ostberliner Anwohner der Bernauer Straße, das Zumauern der Fenster und Türen und schließlich der Bau der Berliner Mauer.
Der Westberliner Polizeibeamte Hans-Joachim Lazai und seine Kollegen hatten zwischen Bäumen in der Nähe der Bernauer Straße ein Seil gespannt, das die Zuschauer nicht übertreten durften. Aber an manchen Tagen wurde die Menge so wütend, dass es schwerfiel, sie zurückzuhalten. Wenn Lazai Wasserwerfer einsetzen musste, um die aufgebrachten Westberliner zurückzuhalten, hatte er jedes Mal ein schlechtes Gewissen. Weit schlimmer waren jedoch die Zeiten, in denen Lazai zusehen musste, wie ostdeutsche Grenzpolizisten jene verhafteten und wegbrachten, die zu fliehen versuchten. Da er seine Befehle, an
Ort und Stellte zu bleiben und niemanden zu provozieren, befolgte, habe er, so
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