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Berlin 1961 - Kennedy, Chruschtschow und der gefährlichste Ort der Welt

Berlin 1961 - Kennedy, Chruschtschow und der gefährlichste Ort der Welt

Titel: Berlin 1961 - Kennedy, Chruschtschow und der gefährlichste Ort der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frederick Kempe
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ich?«, fragte er Kennedys Vertrauten Kenny O’Donnell. »Es wird eine richtige Schießerei geben, und ich werde mittendrin sein.«
    Nach einigen Streicheleinheiten übernahm der Vizepräsident den Auftrag gemeinsam mit dem bereitwilligeren Clay. 39
    Während ihres Nachtflugs am 18. August in einer Boeing 707 der Air Force unterhielt Clay Johnson mit Geschichten von seinen Heldentaten in Berlin in den Jahren 1948/49. Er sagte Johnson, er habe Truman damals zu der Operation bekehrt, die er auf eigene Faust eingeleitet habe, und daraus gelernt, dass es nur eine Möglichkeit gebe, mit den Sowjets umzugehen, nämlich ihnen die Stirn zu bieten.
    Er würde die Mauer niederreißen, wenn er Präsident wäre, sagte er Johnson. Seiner Meinung nach hätte der Korea-Krieg vermieden werden können, wenn die Vereinigten Staaten den Sowjets schon früher in Berlin gezeigt hätten, dass sie bereit waren, aggressiver vorzugehen — beispielsweise während der Blockade. Damals hatte Truman Clay die Erlaubnis verweigert, eine gepanzerte Kolonne über die Autobahn in die Stadt zu holen, um das amerikanische Engagement zu dokumentieren.
    Nichts hätte besser demonstrieren können, wie sehr sich die Westberliner
nach einer Bestätigung durch die Amerikaner sehnten, als der freudige Empfang für Johnson und Clay auf dem Flughafen Tempelhof, einst die Bühne für die Berliner Luftbrücke. Hier waren sie also: ein so gut wie machtloser Vizepräsident und ein General im Ruhestand, der keine Truppen befehligte. Dennoch spielte eine Polizeikapelle die amerikanische Nationalhymne, sieben US-Panzer feuerten Salut, und hunderttausend Berliner jubelten begeistert.
    Damit Johnson auch die gewünschte Botschaft übermittelte, hatte das Weiße Haus jeden Satz, den er in der Öffentlichkeit äußern sollte, mit dem üblichen Pathos Kennedys vorformuliert. »Obwohl geteilt, haben Sie sich nie entmutigen lassen, obwohl bedroht, sind Sie nie unsicher geworden, herausgefordert, sind Sie doch nie schwach geworden. Heute, in einer neuen Krise, bringt Ihr Mut Hoffnung all jenen, die die Freiheit hochhalten, und dieser Mut ist eine massive und großartige Barriere für die Ambitionen von Tyrannen.« 40
    In einer Rede vor dem Westberliner Senat am selben Tag erklärte Johnson: »Für das Überleben und die schöpferische Zukunft dieser Stadt haben wir Amerikaner unser Versprechen gegeben, im Grunde das, was unsere Vorfahren bei der Gründung der Vereinigten Staaten versprochen haben: ›den Einsatz unseres Lebens, unseres Gutes und unserer heiligen Ehre.‹ Das sind die letzten Worte unserer Unabhängigkeitserklärung.« 41
    Seine Worte elektrisierten geradezu eine Stadt, die seit dem 13. August ihre ganze Energie verloren hatte. Die etwa 300 000 Menschen auf dem Platz vor dem Rathaus waren dieselben Berliner, die nur drei Tage zuvor niedergeschlagen und wütend vor Brandt gestanden hatten. Jetzt weinten viele vor Freude. Selbst Clay konnte die Tränen nicht zurückhalten.
    Während Johnson von einer Veranstaltung zur nächsten ging, wandelte sich der widerwillige Reisende zu einem eifrigen Wahlkämpfer. Häufig stieg er aus dem Auto, um ein Bad in der ihn bejubelnden Menge zu nehmen. Der immer wieder einsetzende Regen konnte weder ihn noch Zehntausende von Westberlinern vertreiben, deren Stimmung den Korrespondenten der New York Times, Sydney Gruson, an das erinnerte, was er bei der triumphalen Befreiung von Paris gegen Ende des Zweiten Weltkriegs erlebt hatte.
    »Die Stadt war wie ein Boxer, der einen harten Treffer abgeschüttelt hatte und jetzt Kraft für die nächste Runde sammelte«, schrieb er. »Der Vizepräsident sagte im Grunde nichts Neues. Das spielte aber anscheinend keine Rolle. Die Westberliner wollten die Worte hören, die dieses Mal in ihrer Stadt gesagt wurden, und vor allem wollten sie seine Gegenwart als greifbaren Ausdruck der Verbindung, auf die sie angewiesen waren.« 42

    Johnson entlockte der Menge einen gewaltigen Aufschrei, als er bekannt gab, dass die Männer der 18. Infanteriedivision, 1. Kampfgruppe, bereits auf der Autobahn unterwegs wären, um Westberlins Garnison zu verstärken.
    Für Kennedy war die Truppenverlegung der erste Moment in der Berlin-Krise, in dem er eine gewaltsame Reaktion fürchtete. Auch wenn das US-Kontingent klein war, hatte er dem Sonderberater Ted Sorensen gesagt, dass er die Truppen als »unsere Geisel für die Absicht« betrachte, das amerikanische Versprechen, Westberlin zu verteidigen, auch

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