Berlin 1961 - Kennedy, Chruschtschow und der gefährlichste Ort der Welt
haben Sie die gesamte Mannschaft in Berlin?«, wollte Bundy wissen.
Clarke gab mürrisch zurück: »Wenn ich das garantieren könnte, dann
hätten wir keine Krise. Wer kann vorhersagen, wo wir vielleicht aufgehalten werden?«
Bundy erwiderte, er werde sehen, was er tun könne.
Am Sonntag, dem 20. August, um 12:30 Uhr (6:30 Ortszeit Weißes Haus), nur eine Woche nach der Schließung der Grenze, fuhren die ersten sechzig Lastwagen mit den amerikanischen Soldaten ohne Zwischenfälle in Berlin ein. Chruschtschow hatte seine Zusage gehalten, den Zugang der Alliierten nicht zu behindern, abgesehen von einer Verzögerung am Grenzübergang, als sowjetische Soldaten die nach Berlin einrückenden Männer nachzählten.
Die Westberliner begrüßten Johns’ Soldaten wie Befreiungstruppen; Tausende standen auf Brücken und säumten die Straßen. Ein paar Hundert Berliner warteten gemeinsam mit US-Vizepräsident Johnson, der beschlossen hatte, seine Abreise zu verschieben, am Grenzübergang Dreilinden, wo die Autobahn auf Westberliner Gebiet mündete. Es regnete aus allen Richtungen Blumen, die müden Soldaten in ihren dreckigen Wagen und Kampfanzügen waren verblüfft und hocherfreut. 46
So etwas hatte Oberst Johns noch nie erlebt, »vielleicht mit Ausnahme der Befreiung Frankreichs«. Johns’ Männer waren seit vier Tagen ohne Unterbrechung unterwegs, nachdem man sie von Manövern in der Bundesrepublik abberufen hatte, weil sie die einzige voll ausgerüstete Kampfgruppe waren, die so schnell Berlin erreichen konnte. Selbst während die Transporter sich einen Weg durch die jubelnde Menge in Berlin bahnten, schliefen viele US-Soldaten vor Erschöpfung. 47
Die sowjetische Antwort fiel gemäßigt aus. Der Kreml bezeichnete die Verstärkung verächtlich als »militärisch bedeutungslos« und erklärte, dadurch würden lediglich noch mehr Männer »in die Mausefalle Westberlin« geschickt. Ein Prawda- Artikel, der mit »Zuschauer« unterschrieben war (was auf einen Kommentar zur sowjetischen Regierungsmeinung schließen ließ), erklärte, das sei »eine Provokation, die nicht ignoriert werden dürfe«. 48
Unter den in Berlin stationierten Truppen, die sich das Spektakel ansahen, war Vern Pike, ein Lieutenant der Militärpolizei, unzufrieden, aber aus einem anderen Grund. Wie die meisten US-Soldaten in Berlin war er der Meinung, Kennedy und Johnson hätten die Mauer einfach niederwalzen können, bevor sie überhaupt gebaut war, ohne dass die Sowjets mehr getan hätten, als jammernd abzuziehen.
»Johnson war ein Witz, ein absoluter Witz«, sagte er. »Er wollte nur ein Bad in der Menge nehmen.«
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18. August: Nachdem Vizepräsident Lyndon B. Johnson sich zunächst gegen die Bitte des US-Präsidenten gesträubt hat, nach Westberlin zu fliegen, genießt er später sichtlich das Bad in der begeisterten Menge.
Was die neu eingetroffene Kampfgruppe betraf, so hielt Pike sie für »eine verdammt lausige Einheit«, die kaum kampftauglich war, sondern arrogant gegenüber den Soldaten auftrat, die schon so lange dort stationiert waren. Als die Neuankömmlinge ihr Quartier in der Roosevelt-Kaserne bezogen, verdarben sie es sich sofort mit den langjährigen Soldaten, indem sie erklärten, man habe sie zur Rettung herbeordert, weil die bisherigen Garnisonen es nicht geschafft hätten, die Grenzschließung zu verhindern.
»Wir fassten das als Beleidigung auf«, sagte Pike, »weil sie ja nur neunzig Tage lang hierbleiben und dann wegen der turnusmäßigen Rotation ersetzt werden würden. Wir brauchten keine Retter, und wir wussten genau, dass sie nur aus symbolischen Gründen in Berlin waren.« Hinzu kam, Johns’ Einheit war »betrunken und undiszipliniert, streitsüchtig und widersetzte sich einem Arrest«. 49
Die Berliner merkten jedoch nur, dass die Vereinigten Staaten endlich Farbe bekannt hatten. Selten hatten so viele Menschen eine so schwache Rettung derart lautstark gefeiert. Pike hielt es für einen Gradmesser der Berliner Verzweiflung, dass sie eine so bescheidene Geste schon so laut bejubelten.
Bild 29
21. August: Bild , die auflagenstärkste deutsche Zeitung, kündigt die Ankunft symbolischer Truppenverstärkungen durch die 1. Kampfgruppe der 18. Infanteriedivision an.
Johnson setzte bei seinem Aufenthalt keinen Fuß auf Ostberliner Boden, weil er auf keinen Fall Moskau provozieren oder die Menschen aufhetzen wollte. Aber General Clay erklärte, nachdem er in aller Stille eine Tour durch den abgetrennten
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