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Berlin 1961 - Kennedy, Chruschtschow und der gefährlichste Ort der Welt

Berlin 1961 - Kennedy, Chruschtschow und der gefährlichste Ort der Welt

Titel: Berlin 1961 - Kennedy, Chruschtschow und der gefährlichste Ort der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frederick Kempe
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hochgespannten Hoffnungen seines Chefs in den vier Monaten seit Kennedys Wahl »rasch in Luft aufgelöst hatten«. 8 Es dürfte kaum ein besseres Barometer für die sowjetisch-amerikanischen Beziehungen geben als Trojanowskij, den allgegenwärtigen Berater Chruschtschows, der die Sidwell Friends School in Washington, D.C., besucht hatte, da sein Vater zwischen 1934 und 1939 als erster sowjetischer Botschafter in Washington gedient hatte. Er konnte ebenso fließend Marx zitieren, wie er amerikanischen Slang beherrschte.
    Trojanowskij hatte mit eigenen Augen verfolgt, dass Chruschtschow der Verzögerungstaktik Kennedys müde geworden war, nachdem er die lang ersehnte Gelegenheit verpasst hatte, den neuen amerikanischen Staatschef zu erreichen, ehe dieser von den, wie Chruschtschows meinte, antisowjetischen Vorurteilen in Washington infiziert wurde. Nicht einmal ein Jahr nach dem U-2-Zwischenfall und dem gescheiterten Pariser Gipfeltreffen konnte sich Chruschtschow kein zweites gescheitertes Treffen mit einem US-Präsidenten leisten. Doch derzeit schien kaum ein anderer Ausgang eines solchen Gipfels möglich in Anbetracht der Entschlossenheit Kennedys, sich in der Berlin-Frage Zeit zu lassen und hartnäckig ein Atomteststopp-Abkommen zu verlangen, das vom sowjetischen Militär auf keinen Fall erwünscht war. Chruschtschow hatte sich bereits wegen Truppenkürzungen bei hohen Militärs unbeliebt gemacht; diese würden sich entschieden gegen alle Maßnahmen zur Wehr setzen, die die atomare Entwicklung hemmen oder die Forschungsarbeiten für neugierige Inspektoren offenlegen würden.
    Die Besuche landwirtschaftlicher Kolchosen auf dem Weg nach Nowosibirsk
hatten seine Unzufriedenheit nur gesteigert. Laut einem aktuellen offiziellen statistischen Jahrbuch hatte die Sowjetunion rund 60 Prozent des Bruttoinlandsprodukts der Vereinigten Staaten erreicht, aber das war sicherlich übertrieben. 9 Die CIA nämlich bezifferte die Größe der sowjetischen Volkswirtschaft im Vergleich zu den USA nur auf rund 40 Prozent, und manche Experten schätzten, dass die sowjetische Wirtschaft allenfalls 25 Prozent des amerikanischen Niveaus erreiche. Die landwirtschaftliche Produktivität liege nur bei einem Drittel – Tendenz: sinkend.
    Bei seinen Reisen hatte Chruschtschow die hässliche Wahrheit hinter den allzu optimistischen Berichten der Speichellecker in der Provinz gesehen. Die sowjetische Landwirtschaft scheiterte wegen falscher Planung, Missernten und katastrophal schlechten Verteilersystemen, die häufig am Verrotten der Ernte schuld waren. Jede Woche schäumte Chruschtschow über Aufstellungen, die inkompetente Untergebene ihm vorlegten. Viele frisierten die Zahlen, um ihr eigenes Scheitern zu kaschieren, während andere zwar die eigenen Mängel zugaben, aber nichts dagegen unternahmen. Ein Parteisekretär namens Solotuchin aus der westrussischen Provinzhauptstadt Tambow am Fluss Zna gestand seine Unzulänglichkeit. Dann ließ er die Hose herunter und forderte Chruschtschow dreimal auf, ihn auszupeitschen.
    »Warum legen Sie denn so großen Wert darauf, die Hose runterzulassen und uns Ihren Arsch zu zeigen?«, hatte Chruschtschow ihn angebrüllt. »Glauben Sie vielleicht, dass uns das einen besonderen Nervenkitzel verschafft? Wieso behalten wir solche Sekretäre eigentlich noch?« 10
    Auf einer lokalen Parteiversammlung nach der anderen forderte Chruschtschow seine Arbeitskräfte auf, die amerikanischen industriellen und landwirtschaftlichen Produktionsraten zu erreichen und die amerikanische Milch- und Fleischproduktion zu übertreffen – diese Ziele waren seit seinem Besuch von 1959 im amerikanischen Mittleren Westen eine fixe Idee von ihm. Als Genossen fragten, ob es klug sei, mit den Imperialisten zu konkurrieren, erklärte Chruschtschow, Amerika sei »das höchste Stadium des Kapitalismus«, während die Sowjets erst vor kurzem angefangen hätten, das Fundament für das Haus des Kommunismus zu legen: »Und unsere Dachziegel sind Produktion und Konsumgüter.« 11
    Den Menschen in der Sowjetunion blieb das wirtschaftliche Scheitern keineswegs verborgen. Das äußerte sich durch schwarzen Humor und Witze, die man sich in Lebensmittelschlangen erzählte, während Chruschtschow durchs Land tourte: 12
    Bild 30
    Chruschtschow unternimmt eine »landwirtschaftliche Inspektionsreise« durch die Sowjetunion, um vor Ort um Unterstützung für den Parteitag im Oktober zu werben.
    Frage: Welche Nationalität hatten Adam und Eva?
    Antwort:

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