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Berlin 1961 - Kennedy, Chruschtschow und der gefährlichste Ort der Welt

Berlin 1961 - Kennedy, Chruschtschow und der gefährlichste Ort der Welt

Titel: Berlin 1961 - Kennedy, Chruschtschow und der gefährlichste Ort der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frederick Kempe
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Kennedys Verlässlichkeit bereits nach Moskau gemeldet. Chruschtschow konnte sich deshalb durchaus vorstellen, dass der Bundeskanzler jetzt sowjetischen Vorschlägen zugänglicher sein würde, als er es unter den für ihn verlässlicheren Präsidenten Truman und Eisenhower gewesen war.
    »Eine völlig anomale Lage ist in Westberlin entstanden, das immer noch für subversive Aktionen gegen die Deutsche Demokratische Republik, die UdSSR und andere sozialistische Staaten missbraucht wird«, stellte Chruschtschows
Papier in klarer, undiplomatischer Sprache fest. »So darf es nicht weitergehen: Entweder man geht einer immer gefährlicheren Zuspitzung der Beziehungen zwischen den Staaten und militärischen Konflikten entgegen, oder man schließt einen Friedensvertrag.« 23
    Das Aide-Mémoire, das in der Form eines persönlichen Briefs von Chruschtschow an Adenauer abgefasst war, bezeichnete den Abschluss eines Friedensvertrags, der den Status Berlins endgültig regeln würde, »als das Wichtigste in den deutsch-sowjetischen Beziehungen«. Gleichzeitig kritisierte es auch, »dass in Westdeutschland mit jedem Jahr immer lauter und nachdrücklicher Stimmen zu vernehmen sind, die eine Revision der bestehenden Grenzen in Europa fordern«. Dies führe »bei den Völkern der Sowjetunion, Polens, der Tschechoslowakei« zu großer Unruhe. »Wenn Deutschland jetzt andere Grenzen hat als vor dem Kriege, so ist es daran selbst schuld«, stellte der Brief fest und erinnerte Adenauer daran, dass sein Land seine Nachbarn überfallen hatte und dabei »Millionen und aber Millionen [sic] Menschen« umgekommen waren.
    Obwohl dieses Aide-Mémoire vom Bonner sowjetischen Botschafter an Adenauer übergeben wurde, war dessen harte Botschaft ebenfalls für Kennedy bestimmt. In unmissverständlicher Weise erklärte hier der Sowjetführer, dass er die Hinhaltetaktik des Westens endgültig leid sei. Zuerst hätten die USA die Sowjets gebeten, mit den Verhandlungen über Berlin bis nach ihren Wahlen zu warten, dann habe man argumentiert, »der Präsident und die neue USA-Regierung seien eben erst an die Erfüllung ihrer Pflichten gegangen und hätten sich vorerst noch nicht eingearbeitet«. Und jetzt solle Moskau auch noch die westdeutschen Bundestagswahlen abwarten. »Gibt man dieser Tendenz nach, so kann das unendlich lange dauern«, stellte Chruschtschow dann leicht verbittert fest.
    Der Brief schloss mit Chruschtschows charakteristischer Mischung aus Verlockung und Drohungen. Der Sowjetführer bat Adenauer, »seinen ganzen persönlichen Einfluss und seine große Erfahrung als Staatsmann« geltend zu machen, um Frieden und Sicherheit in Europa zu festigen. Das Schreiben warnte Adenauer jedoch auch, dass »bei dem gegenwärtigen Kräfteverhältnis« die Sowjetunion und ihre Freunde »alles besitzen, was nötig ist, um die gerechte Sache in gebührender Weise zu verfechten«.
    Der Brief spottete auch über Westdeutschlands Ruf nach Abrüstung zu einer Zeit, da sich die »Bundesregierung um die fortschreitende Erweiterung der eigenen Rüstungen« bemühe und nach Atomwaffen strebe, während sie
versuche, die NATO »in eine vierte Atommacht« zu verwandeln. Danach wird mit Empörung festgestellt, dass die CDU in ihrem Wahlkampf offensichtlich »die schmutzigsten Losungen des Antikommunismus« benutzen wolle. »Wenn dem tatsächlich so ist, so müssen Sie, Herr Bundeskanzler, sich über die Folgen derartiger Schritte im Klaren sein«, wird an Adenauer appelliert.
    Die Kennedy-Regierung war noch nicht einmal einen Monat im Amt, und schon änderte Chruschtschow seinen Kurs in der Berlin-Frage. Wenn Kennedy nicht bereit war, mit den Sowjets eine akzeptable Einigung zu erzielen, war Chruschtschow entschlossen, auf anderen Wegen das zu erreichen, was er wollte.

TEIL II
Der Sturm zieht auf

KAPITEL 7
Frühling für Chruschtschow
    Westberlin ist ein Knochen im Hals der sowjetisch -amerikanischen
Beziehungen. […] Wenn Adenauer Krieg haben will, ist Westberlin ein
guter Ort, um damit zu beginnen.
    PARTEICHEF CHRUSCHTSCHOW AN US-BOTSCHAFTER
LLEWELLYN E. THOMPSON JUN., 9. MÄRZ 1961 1
     
    Höchstwahrscheinlich wird die UdSSR noch in diesem Jahr eine Krise
wegen Berlin provozieren. Sämtliche Handlungsoptionen sind riskant und
nicht sehr vielversprechend. Untätigkeit ist allerdings noch schlimmer.
Es heißt: Friss oder stirb. Wenn es zu einer Krise kommt, könnte sich ein
mutiger und riskanter Kurs als der sicherste erweisen.
    EX-US-AUSSENMINISTER DEAN

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