Berlin 1961 - Kennedy, Chruschtschow und der gefährlichste Ort der Welt
Russen wahrscheinlich ausüben würden.
Brentano beruhigte den Präsidenten, dass die fehlende Erwähnung Berlins in Kennedys Reden die deutsche Regierung so wenig beunruhigt habe, dass sie nicht einmal in der Liste der von ihm anzusprechenden Gesprächsthemen auftauche, die ihm Adenauer mitgegeben habe. Außerdem stimmte er darin überein, dass es noch keinen Grund gab, die Berlin-Frage in den Vordergrund zu stellen, fügte allerdings hinzu: »Früher oder später werden wir uns damit befassen
müssen.« Dann runzelte Brentano die Stirn und erklärte: »Die Führer der Sowjetzone können das Symbol eines freien Berlins in der Mitte ihrer roten Zone keinesfalls dulden.« Sie würden deswegen »alles in ihrer Macht Stehende tun, um die Sowjetunion dazu zu bewegen, in Berlin endlich tätig zu werden«.
Doch es gab auch Positives. Brentano schätzte, dass 90 Prozent der ostdeutschen Bevölkerung gegen das ostdeutsche Regime eingestellt seien, das er das zweithärteste kommunistische System nach dem der Tschechoslowakei nannte. Seine Botschaft für Kennedy war klar: Die Menschen in beiden Teilen Deutschlands zogen dessen westliche Variante bei weitem vor und würden deshalb mit der Zeit auch für die Wiedervereinigung eintreten.
Kennedy hakte nach. Er befürchtete, dass die Sowjets einen separaten Friedensvertrag mit Ostdeutschland abschließen und danach die Freiheit Westberlins immer mehr einschränken könnten, wobei sie den Status quo dort vielleicht noch eine kurze Zeit aufrechterhalten würden, um den Westen zu besänftigen. Brentano bestätigte, dass ein solcher Verlauf sogar durchaus wahrscheinlich sei. Kennedy fragte ihn daraufhin, wie die NATO-Verbündeten dem entgegentreten könnten.
Daraufhin beschrieb Brentano dem amerikanischen Präsidenten Adenauers »Politik der Stärke«. Die Sowjets würden »zögern, drastische Schritte in Berlin zu unternehmen, solange sie wissen, dass die Westalliierten solche Schritte nicht tolerieren werden«. 20 Solange Kennedy unerschütterlich bleibe, meinte er, »werden die Sowjets vielleicht weiterhin drohen, aber sie werden für absehbare Zeit keine wirklichen Schritte unternehmen«. Allerdings stimmte Brentano zu, dass die kürzlich erfolgten Rückschläge der Vereinigten Staaten im Kongo, in Laos und Lateinamerika die Chance erhöhten, dass die Sowjets Kennedy in Berlin auf die Probe stellen könnten.
Als ob er Brentanos Argumentation bestätigen wollte, verstärkte Chruschtschow gleichzeitig seinen Druck auf Adenauer in Bonn.
BUNDESKANZLERAMT, BONN
FREITAG, 17. FEBRUAR 1961
Wenn Botschafter Andrej Smirnow um eine dringende Unterredung mit Adenauer nachsuchte, war das selten eine gute Nachricht. 21
Wollte Chruschtschow die Bundesregierung unter Druck setzen, schickte er immer erst einmal seinen Bonner Gesandten Smirnow vor. Der Bundeskanzler hatte also böse Vorahnungen, als man ihm Smirnows Bitte um ein sofortiges Treffen mitteilte. Dies galt umso mehr, als gleichzeitig ja sein Außenminister dem Weißen Haus einen Besuch abstattete.
Meist war Smirnow ein charmanter und höflicher Diplomat, der auch noch die schärfste Demarche seiner Oberen ruhig und ohne öffentliches Aufsehen zu übermitteln pflegte. Nur im vergangenen Oktober hatte es eine seltene Ausnahme gegeben, als er nach einigen Bemerkungen von Adenauers Wirtschaftsminister Ludwig Erhard einen Wutausbruch erlitten hatte. 22 Erhard hatte vor einer Besucherdelegation von zweihundert afrikanischen hohen Politikern aus vierundzwanzig Ländern, von denen viele gerade erst unabhängig geworden waren, geäußert: »Der Kolonialismus wurde besiegt. Aber schlimmer als der Kolonialismus ist der sowjetische Kommunismus totalitärer Prägung.«
Smirnow sprang daraufhin auf und stürmte aus dem Saal. Dabei rief er: »Sie sprechen von Freiheit, aber Deutschland hat in unserem Land zwanzig Millionen Menschen getötet!« Es war eine der seltenen Gelegenheiten, in denen das immer noch bestehende russische Ressentiment gegen die Deutschen einen öffentlichen Ausdruck fand.
An diesem 17. Februar war Smirnow dagegen in ganz offiziellem Auftrag bei Adenauer. Er sollte dem Kanzler ein 2862 Worte umfassendes und in neun Punkte aufgeteiltes Aide-Mémoire Chruschtschows überreichen. Der Inhalt war das bisher deutlichste Zeichen während der noch jungen Präsidentschaft Kennedys, dass Chruschtschow in Berlin erneut einen Konfrontationskurs einzuschlagen gedachte. Der sowjetische Geheimdienst hatte Adenauers Zweifel an
Weitere Kostenlose Bücher