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Berlin 1961 - Kennedy, Chruschtschow und der gefährlichste Ort der Welt

Berlin 1961 - Kennedy, Chruschtschow und der gefährlichste Ort der Welt

Titel: Berlin 1961 - Kennedy, Chruschtschow und der gefährlichste Ort der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frederick Kempe
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fasziniert den Westen eigentlich so sehr an Berlin?«, entgegnete er.
    Das liege daran, dass Amerika den Berlinern ein feierliches Versprechen gegeben habe, erwiderte Thompson, deshalb habe sein Land das eigene Ansehen mit ihrem Schicksal verknüpft.
    Chruschtschow antwortete achselzuckend, dass die Westmächte überhaupt erst nach der deutschen Kapitulation am Ende des Zweiten Weltkriegs nach Berlin gelangt wären. »Lassen Sie uns gemeinsam einen Status für West-berlin ausarbeiten«, sagte er. »Wir können es bei der UNO eintragen. Gründen wir eine gemeinsame Polizeitruppe auf der Basis eines Friedensvertrags, der von den vier Mächten garantiert wird, oder eine symbolische Einheit der vier Mächte könnte in Westberlin stationiert werden.« Seine einzige Bedingung sei, dass Ostberlin bei diesen Plänen ausgeklammert werde, weil die sowjetische Zone der Großstadt auf jeden Fall die Hauptstadt Ostdeutschlands bleiben werde.
    Da Berlin für Moskau politisch nicht sonderlich wichtig war, wiederholte Chruschtschow, dass er den Vereinigten Staaten jede gewünschte Garantie geben werde, um ihr Ansehen zu wahren und das gegenwärtige politische System Westberlins zu gewährleisten. 15 Er sei bereit, Westberlin als kapitalistische
Enklave in Ostdeutschland zu akzeptieren, sagte er, weil die Sowjetunion ohnehin Westdeutschland schon 1965 beim Pro-Kopf-Einkommen übertreffen werde und nach weiteren fünf Jahren auch die Vereinigten Staaten. Um die Bedeutungslosigkeit Westberlins noch drastischer zu veranschaulichen, sagte Chruschtschow: Da die sowjetische Bevölkerung jährlich um dreieinhalb Millionen wachse, sei die Gesamtbevölkerung Westberlins mit zwei Millionen lediglich »die Arbeit einer Nacht« für sein sexuell produktives Land. 16
    Gewissermaßen als Advocatus Diaboli wandte Thompson ein, auch wenn Westberlin für die Sowjets bedeutungslos sei, so sei »Ulbricht sehr wohl daran interessiert«, und es sei unwahrscheinlich, dass er Chruschtschows Garantie für ein demokratisches, kapitalistisches System billigen würde. Mit einer abschätzigen Handbewegung, als wolle er eine lästige Fliege verscheuchen, erklärte Chruschtschow, er könne Ulbricht zwingen, allem zuzustimmen, was er und Kennedy beschlössen.
    Um das heikle Thema Berlin endlich abzuhaken, wechselte Thompson zur Liberalisierung des amerikanisch-sowjetischen Handels. In dieser Angelegenheit hatte er ein Angebot, von dem er hoffte, dass es den Parteichef besänftigen würde. Die US-Regierung habe, so Thompson, die Hoffnung, in Kürze sämtliche Beschränkungen für sowjetische Krabbenfleischimporte in die Vereinigten Staaten aufzuheben. 17
    Statt auf die Geste einzugehen, machte Chruschtschow seinem ganzen Zorn über die unlängst erfolgte Entscheidung der US-Regierung Luft, aus Gründen der nationalen Sicherheit den Verkauf fortschrittlicher Mahlwerkzeuge an Moskau zu stornieren. »Die UdSSR kann auch ohne amerikanische Maschinen ihre Raketen fliegen lassen!«, fauchte er. Er schimpfte noch weiter über die verzögerte Genehmigung des Kaufs einer Düngemittelfabrik, die ebenfalls auf die potenzielle militärische Verwendung zurückzuführen war, angeblich für die Herstellung chemischer Waffen. Laut Chruschtschow war die Harnstofftechnologie inzwischen so verbreitet, dass er in den Niederlanden schon drei solche Werke hätte kaufen können. 18
    Allerdings hatte keine noch so große Menge an Kunstdünger für Chruschtschow eine auch nur annähernd so große Bedeutung wie Berlin, und der sowjetische Parteichef kam immer wieder auf das Thema zu sprechen, bis Thompson widerwillig darauf einging. Er versicherte Chruschtschow, der US-Präsident wisse, dass die Situation für beide Seiten unbefriedigend sei, dass er »das ganze Problem Deutschland und Berlin erneut prüfe« und durchaus »bereit sei, etwas zur Entspannung zu unternehmen«. Aber Thompson wiederholte,
dass er Kennedys Ansichten nicht wiedergeben könne, solange sich der Präsident nicht persönlich mit den Verbündeten beraten hätte – und das werde er auf den Treffen im März und April tun, noch vor dem vorgeschlagenen Gipfeltermin.
    Chruschtschow beklagte sich, dass Kennedy sich nicht voll darüber im Klaren sei, was in Berlin auf dem Spiel stehe. Wenn er und Kennedy einen Vertrag unterzeichnen könnten, der den Nachkriegsstatus der Stadt beende, dann würde dies die Spannungen auf der ganzen Welt entschärfen, sagte er Thompson. Falls es ihnen jedoch nicht gelingen sollte, die

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