Berlin 1961 - Kennedy, Chruschtschow und der gefährlichste Ort der Welt
Abschiedstrinkspruch erneut aufgegriffen.
Um einen versöhnlichen Abschluss zu finden, erinnerte Kennedy Chruschtschow daran, dass er ihn am Tag zuvor gefragt hatte, welche Stellung er mit
vierundvierzig Jahren, dem gegenwärtigen Alter des US-Präsidenten, bekleidet habe. Der Kremlchef hatte geantwortet, er sei damals Chef der Moskauer Plankommission gewesen. Kennedy scherzte jetzt, er hoffe, mit siebenundsechzig Jahren an der Spitze des Bostoner Planungsausschusses zu stehen.
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Die Stimmung bleibt während der gesamten Gespräche angespannt. Am Ende reist Kennedy mit dem Gefühl ab, vom sowjetischen Minister- präsidenten vorgeführt worden zu sein.
»Vielleicht möchte der Präsident auch Leiter der Plankommission der ganzen Welt werden«, spottete Chruschtschow.
»Nein«, erwiderte Kennedy. »Mir genügt Boston.«
Nachdem die beiden Gipfeltage mit Misstönen geendet hatten, wollte Kennedy doch noch einmal versuchen, ein etwas positiveres Ergebnis zu erzielen. Er bat deshalb Chruschtschow um ein Vier-Augen-Gespräch nach diesem Essen, an dem nur ihre Dolmetscher teilnehmen sollten. 21
»Ich kann nicht von hier abreisen, ohne es noch einmal versucht zu haben«, sagte Kennedy zu Kenny O’Donnell.
Als die Mitarbeiter des Präsidenten ihm vorhielten, dies würde den gesamten
Zeitplan umwerfen und sie könnten dann Wien nicht zur vorgesehenen Zeit verlassen, blaffte Kennedy sie an, dass im Moment nichts auf der Welt wichtiger sein könne, als mit Chruschtschow doch noch klarzukommen. 22 »Nein, wir werden nicht pünktlich abreisen! Ich gehe nicht, bis ich nicht mehr weiß.« Sein ganzes Leben hatte sich Kennedy darauf verlassen können, dass sein Charme und seine Persönlichkeit alle Hindernisse überwinden würden. Bis jetzt hatte jedoch nichts davon Chruschtschows Kraftfeld zu durchdringen vermocht.
Kennedy eröffnete ihren letzten, kurzen Gedankenaustausch mit dem Zugeständnis, dass die Berlin-Frage »von großer Bedeutung« sei. 23 Dennoch hoffe er, dass Chruschtschow ihn »im Interesse der Verbesserung der Beziehungen zwischen unseren Ländern« nicht mit einer Situation konfrontiere, »die unsere nationalen Interessen so tief berührt«. Er unterstrich noch einmal den Unterschied »zwischen dem Abschluss eines Friedensvertrags und der Frage unseres Zugangs und unserer Rechte in Westberlin«. Auf keinen Fall dürfe es jedoch zu einem »direkten Zusammenstoß« zwischen den Vereinigten Staaten und der Sowjetunion kommen.
Da er Kennedy bereits im Schwitzkasten hatte, drückte der Sowjetführer jetzt noch fester zu. Sollten die Vereinigten Staaten »nach der Unterzeichnung eines Friedensvertrags auf ihrem Zugangsrecht nach Berlin beharren, so wird selbst ein direkter Zusammenstoß zwischen uns diese Frage nicht zu Ihren Gunsten entscheiden. Wir werden uns gegen eine Aggression verteidigen, falls Ihre Truppen die Grenzen der DDR überschreiten.«
Bevor Kennedy Wien verließ, wollte er zumindest die Optionen klar verstehen, die ihm die Sowjets noch ließen. Er fragte deshalb Chruschtschow, ob das provisorische Abkommen, das der Sowjetführer vorgeschlagen hatte, den Verbleib von US-Truppen in Berlin und deren freien Zugang in diese Stadt vorsehe.
Ja, aber nur für die Geltungsdauer dieses Abkommens, die sechs Monate betrage, bekam er zur Antwort.
»Und dann würde der Zutritt zu dieser Stadt unterbunden?«, fragte Kennedy.
Chruschtschow bejahte dies.
Der US-Präsident erwiderte, dass Chruschtschow entweder nicht glaube, dass es den Vereinigten Staaten ernst sei, oder die Lage seines Landes seiner Ansicht nach »so unbefriedigend« sei, dass er »das Risiko eines offenen Zusammenstoßes zwischen den USA und der UdSSR einzugehen bereit« sei.
Kennedy sagte, dass er auf der Heimreise den britischen Premierminister Harold Macmillan in London aufsuchen werde. Er werde ihm jetzt mitteilen müssen, dass er vor der unglücklichen Alternative stehe, die von Chruschtschow vorgesehenen vollendeten Tatsachen in Berlin zu akzeptieren oder sich einer direkten Konfrontation stellen zu müssen. Kennedy hatte also den begründeten Eindruck, dass Chruschtschow ihm nur die Wahl zwischen einem bewaffneten Konflikt und einer Kapitulation ließ.
In diesem Moment schlug Chruschtschow dem US-Präsidenten eine ganz spezielle Lösung vor: »Zur Wahrung Ihres Prestiges wären wir auch bereit, dass Ihre Truppen gemeinsam mit Truppenkontingenten Englands, Frankreichs und natürlich der Sowjetunion weiterhin in
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