Sechseckwelt 01 - Die Sechseck-Welt
Dalgonia
Massenmord ist gewöhnlich um so entsetzlicher der unerwarteten Schauplätze und des früheren Charakters des Mörders wegen. Das Massaker von Dalgonia kann als Beispiel dienen.
Dalgonia ist ein unfruchtbarer, felsiger Planet in der Nähe einer sterbenden Sonne, überflutet nur von geisterhaftem, rötlichem Licht, dessen wundersame Strahlen unheimliche Schatten auf die schroffen Gipfel werfen. Von der dalgonischen Atmosphäre ist nur wenig geblieben, das anzeigt, daß hier je Leben geherrscht haben kann; das Wasser ist verschwunden oder, wie der Sauerstoff, jetzt tief im Gestein gebunden. Die schwächliche Sonne, unfähig, der Landschaft mehr zu geben als die dunkelrote Färbung, vermag den Horizont nicht zu erhellen, der trotz eines bläulichen Dunstes von den noch darin enthaltenen inaktiven Elementen so dunkel war wie die Schatten. Es war eine Welt von Gespenstern.
Und wurde von ihnen heimgesucht.
Neun Gestalten stapften lautlos in die Ruinen einer Stadt, die man leicht für die zerklüfteten Wände der nahen Berge hätte halten können. Verkrümmte Türme und zerbröckelnde Burgen von grünlich-braunem Gestein standen vor ihnen und ließen sie zwergenhaft unbedeutend erscheinen. Nur ihre weißen Schutzanzüge hoben sie aus dieser düster-schönen Welt der Stille hervor.
Die Stadt hatte mit nichts so sehr Ähnlichkeit wie mit einer, die Äonen zuvor aus Eisen erbaut und in einem toten Meer ausgedehnter Verwitterung durch Rost und Salz ausgesetzt worden war. Wie ihre Welt war sie stumm und tot.
Ein genauerer Blick auf die Gestalten hätte gezeigt, daß sie alle waren, was man ›menschlich‹ nannte – Bewohner des jüngsten Teiles des Spiralarmes ihrer Galaxis. Fünf waren weiblich, vier männlich; der Anführer war ein hagerer, zerbrechlich wirkender Mann in mittleren Jahren. Auf seinem Rücken und an der Sichtscheibe war der Name ›Skander‹ zu lesen.
Sie standen am halb zerfallenen Stadttor, wie schon so oft zuvor, und starrten die unfaßbaren, großartigen Ruinen an. Durch ihre Köpfe, wie durch jene Tausender von anderen, die auf über zwei Dutzend ebenfalls toten Planeten ähnliche Ruinen besichtigt hatten, gingen immer wieder die offenbar nicht zu beantwortenden Fragen.
Wer waren sie, die mit solcher Pracht bauen konnten?
Warum sind sie untergegangen?
»Da dies Ihr erster Ausflug als graduierte Studenten zu einer Markovier-Ruine ist«, sagte Skanders dünne Stimme in ihren Helmen und riß sie aus ihrer staunenden Versunkenheit, »möchte ich eine kurze Einführung geben. Ich entschuldige mich, wenn ich Bekanntes wiederhole, aber das wird auch eine gute Gedächtnisauffrischung sein. Jared Markov entdeckte die erste dieser Ruinen vor Jahrhunderten auf einem Planeten, der über hundert Lichtjahre von hier entfernt ist. Es war die erste Begegnung unserer Rasse mit Anzeichen von Intelligenz in unserer Galaxis, und die Entdeckung erregte ungeheures Aufsehen. Diese Ruinen wurden auf ein Alter von über einer Viertelmillion Standardjahren geschätzt – und sie waren die jüngsten von allen seither entdeckten. Es zeigte sich, daß, während unsere Rasse noch auf ihrer Heimatwelt mühevoll ihr Leben fristete und gerade erst das Feuer entdeckt hatte, jemand anderer – diese Wesen – ein riesiges interstellares Reich von noch immer unbekannten Ausmaßen besaßen. Alles, was wir wissen, während wir in die Galaxis eindrangen, ist, daß diese Überreste immer häufiger vorkommen. Und trotzdem haben wir noch keinerlei Hinweise darauf, wer sie gewesen sind.«
»Gibt es denn überhaupt keine Artefakte?« fragte eine weibliche Stimme ungläubig.
»Keine, wie Sie wissen sollten, Bürgerin Jainet«, kam die ein wenig mißbilligend klingende Antwort. »Das ist ja das Ärgerliche daran. Die Städte, ja, über deren Erbauer sich einige Schlußfolgerungen ziehen lassen, aber keine Einrichtungsgegenstände, keine Bilder, nichts von auch nur entfernt nützlicher Art. Die Räume sind, wie Sie alle sehen können, völlig leer. Es gibt auch keine Friedhöfe, ebenso wenig irgend etwas Mechanisches.«
»Das liegt am Computer, nicht wahr?« fragte eine andere, tiefere Frauenstimme. Sie gehörte dem stämmigen Mädchen von der Hoch-Schwerkraftwelt, dessen Familienname Marino war.
»Ja«, sagte Skander. »Aber kommen Sie, wir gehen in die Stadt hinein und können uns auf dem Weg unterhalten.«
Sie machten sich auf den Weg und erreichten bald eine Straße, die ungefähr fünfzig Meter breit war. Auf beiden
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