Berlin 1961 - Kennedy, Chruschtschow und der gefährlichste Ort der Welt
Westberlin bleiben auf der Grundlage eines Abkommens, das in der UNO fixiert wird. Aber der Zutritt zu Westberlin wird dann selbstverständlich nur mit Genehmigung der Regierung der DDR erfolgen.« Dann wurde der Sowjetführer massiv: »Wir wollen Frieden. Nicht ich bin es, der mit Krieg droht, sondern Sie.«
Kennedys Zusatztreffen verlief überhaupt nicht gut. »Sie sind es, der eine Veränderung erzwingen will und nicht ich«, protestierte er, wobei er Chruschtschows provokante Verwendung des Begriffs »Krieg« peinlich vermied.
Es hatte den Anschein, als stritten sich zwei halbstarke Jungs mit Atomstöcken darüber, wer einen Kampf mit wem anfangen wolle.
»Auf jeden Fall hat die Sowjetunion keine andere Wahl«, meinte Chruschtschow, »als diese Herausforderung anzunehmen. Sie muss und sie wird reagieren. Wir wollen keinen Krieg, wenn Sie ihn uns aber aufzwingen sollten, wird es einen geben. Das können Sie also Macmillan, de Gaulle und Adenauer sagen. Beachten Sie also, Herr Präsident, dass dies unser unumstößlicher Entschluss ist und wir den Friedensvertrag im Dezember dieses Jahres unterzeichnen werden.«
»Wenn dem so ist, wird es einen kalten Winter geben«, entgegnete Kennedy.
So stark Kennedys Fazit auch klingen mochte, er hatte auch dieses Mal nicht recht. Seine Probleme würden schon weit früher beginnen.
Bild 56
Der Zustrom ostdeutscher Flüchtlinge nach Westberlin wird von Woche zu Woche stärker; die Lage spitzt sich zu. Eine Aufnahme aus der Vogelperspektive vom Notaufnahmelager Marienfelde am Stadtrand Berlins.
Eine Mutter passt auf ihre Kinderauf, während sie in Marienfelde warten,dass sie an die Reihe kommen.
BERLIN
SONNTAGNACHMITTAG, 4. JUNI 1961
Während Kennedy und Chruschtschow sich wütende Wortwechsel über die Möglichkeit eines Kriegs in Berlin lieferten, genossen die Berliner selbst das erste sonnige, trockene Wochenende nach einem Monat voller Regen. In Autos oder mit Motorrollern, mit der S- und der U-Bahn fuhren sie hinaus in die vielen Berliner Parks und Wälder und an die städtischen Seen, um zu schwimmen, zu segeln, zu spielen oder ganz einfach in der Sonne zu liegen.
Die Berliner Zeitungen nannten es »schönes Gipfelwetter«. 24 Allgemein war man sich einig, dass ein Treffen der beiden Staatschefs, die das Schicksal der Stadt in der Hand hatten, die Spannungen eher verringern als erhöhen würde. Berliner aus beiden Teilen der Stadt strömten am Abend in die Westberliner
Kinos, um sich die neuesten Filme anzuschauen: den mit vier Oscars ausgezeichneten Spartacus, Ben Hur mit Charlton Heston oder Ehekarussell mit James Mason und Susan Hayward. Die Filmanzeigen in den Zeitungen erinnerten die Ostberliner daran, dass ihre weiche Ostmark an den Kinokassen genauso viel galt wie die harte westliche D-Mark. Dies war das beste Geschäft, das die Menschen aus dem Ostteil der Stadt in deren Westteil machen konnten.
Im Osten versuchte Walter Ulbricht gerade mit dem Brotmangel fertigzuwerden. An diesem Sonntag feierte er jedoch mit seinem »Volk« den Kindertag der FDJ. Da es von den eigentlichen Verhandlungen in Wien nur wenige Nachrichten gab, waren die Zeitungen voller Fotos und Berichte über das Wiener »Damenprogramm« von Jackie Kennedy und Nina Chruschtschowa.
An diesem Gipfelwochenende meldeten sich in den westlichen Aufnahmestellen die wenigsten Flüchtlinge seit Jahren. Viele Ostdeutsche hofften wohl, dass der Wiener Gipfel eine Wende zum Besseren bringen könnte. 25
Nach den Wiener Gesprächen gefragt, meinte Ulbricht, da müsse man erst einmal abwarten. Der Regierende Bürgermeister Willy Brandt teilte jedoch seinen Bürgern mit: »Unsere gute Sache ist bei Präsident Kennedy in guten Händen. […] Wir können nur hoffen, dass einige der Missverständnisse, die zu neuen Bedrohungen und Gefahren führen könnten, aufgeklärt werden.«
WIEN
SONNTAGNACHMITTAG, 4. JUNI 1961
Nachdem er Kennedy gerade mit Krieg gedroht hatte, setzte Chruschtschow nun sein breitestes Lächeln auf, als er den düster dreinblickenden, verstörten US-Präsidenten auf den Eingangsstufen der sowjetischen Botschaft verabschiedete. Die Fotografen hielten die gegensätzlichen Gefühlsregungen der beiden Männer für die Zeitungen des nächsten Tages fest.
Chruschtschow wusste, dass er an diesem Tag den Sieg davongetragen hatte, wenngleich er die Konsequenzen daraus noch nicht kennen konnte. Später würde er sich erinnern, Kennedy habe in diesem Moment »nicht nur ängstlich, sondern
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