Berlin Alexanderplatz: Die Geschichte von Franz Biberkopf (German Edition)
Platz. Eva hat viel, viel, viel mit ihm zu tun. Eva hat tagelang, nächtelang mit ihm zu tun. Er lebt nicht und er stirbt nicht. Herbert läßt sich wenig blicken.
Es kommen noch ein paar Tage Jagd von Franz und Herbert hinter Reinhold her. Es ist Herbert, der sich schwer bewaffnet hat und überall rumhorcht und den Reinhold fassen will. Franz will erst nicht, dann beißt er an, es ist seine letzte Medizin auf dieser Welt.
Die Festung ist ganz eingeschlossen,
die letzten Ausfälle werden gemacht,
es sind aber nur Scheinmanöver
Es geht in den November. Der Sommer ist lange zu Ende. Der Regen hat sich in den Herbst hineingezogen. Sehr weit zurück sind die Wochen, wo die wonnige Glut auf den Straßen lag, die Menschen gingen in leichten Kleidern, die Frauen gingen wie in Hemden; ein weißes Kleid, eine enganliegende Kappe trug Franzens Mädel, die Mieze, die einmal nach Freienwalde fuhr, dann kam sie nicht wieder, das war im Sommer. Das Gericht verhandelt gegen Bergmann, der ein Parasit am Wirtschaftsleben und gemeingefährlich und skrupellos war. Der Graf Zeppelin kommt bei unsichtigem Wetter über Berlin an, sternklar ist der Himmel, als er 2,17 Friedrichshafen verläßt. Um das schlechte Wetter, das aus Mitteldeutschland gemeldet wurde, zu umgehen, nimmt das Luftschiff seinen Weg über Stuttgart, Darmstadt, Frankfurt am Main, Gießen, Kassel, Rathenow. Um 8,35 ist es über Nauen, 8,45 über Staaken. Kurz vor 9 Uhr erscheint der Zeppelin über der Stadt, trotz des regnerischen Wetters waren die Dächer mit Schaulustigen besetzt, die das Luftschiff mit Jubel begrüßten, das seine Schleifenfahrt über den Osten und Norden der Stadt fortsetzte. 9,45 fiel in Staaken das erste Landungsseil.
Franz und Herbert streifen durch Berlin; sie sind meist von Haus weg. Franz ist in den Herbergen der Heilsarmee, in den Männerheimen, paßt auf, wandert durch die Augustherberge Auguststraße. Er sitzt in der Dresdener Straße, bei der Heilsarmee, wo er mit Reinhold war. Sie singen Liederbuch Nr. 66: Sag, warum noch warten, mein Bruder? Steh auf und komm eilend herzu! Dein Heiland ruft dich schon so lange. Gern schenkt er dir Frieden und Ruh. Chor: Warum? Warum? Warum kommst du nicht herzu? Warum? Warum willst du nicht Frieden und Ruh? Fühlst du nicht im Herzen, o Bruder, Des Geistes lebendigen Zug? Willst du nicht Erlösung von Sünde? O eile zu Jesu im Flug! Sag, warum noch warten, mein Bruder? Schnell nahet dir Tod und Gericht! O komm, weil die Pforte noch offen Und Jesu Blut jetzt für dich spricht!
Franz geht nach der Fröbelstraße ins Asyl, in die Palme, ob er Reinholden findet. Er legt sich in die Bettstelle, den Drahtvater, heute in die, morgen in die, Haarschneiden 10 Pfennig, Rasieren fünf, da sitzen sie, bringen ihre Papiere in Ordnung, Handel mit Schuh und Hemden, Mensch, du bist wohl das erstemal hier, ausziehen gibts nicht, denn kannste morgen früh suchen, wat du noch hast, die Stiebel, kuck mal, jeden Stiebel mußte einzeln in ein Bettfuß stellen, sonst stehlen sie dir alles, sogar das Gebiß. Willste dir tätowieren lassen? Und Ruhe, Nacht. Schwarze Ruhe, Schnarchen wie in ner Sägefabrik, ich hab ihn nicht gesehen. Ruhe. Bimm bimm bimm, was ist, Gefängnis, ich hab gedacht, ich bin in Tegel. Wecken. Da hauen die sich. Wieder raus auf die Straße, Uhre 6, die Weiber stehen da, warten auf ihren Liebsten, gehen mit ihm in die Kaschemme, verspielen ihr Bettelgeld.
Reinhold ist nicht da, das ist Quatsch, daß ich ihn suche, der ist wieder auf Weiberjagd, Elfriede, Emilie, Karoline, Lili; braune Haare, blonde Haare.
Und Eva sieht abends das starre Gesicht von Franz, der kennt keine Liebkosung, kein gutes Wort, der ißt und spricht wenig, Schnaps und Kaffee gießt er in sich. Er liegt bei ihr auf dem Sofa und heult und heult. Wir kriegen ihn nicht. »Mensch, laß ihn doch.« »Wir kriegen ihn nicht. Wat könn wir machen, Eva?« »Mensch, du mußt det lassen, det hat ja keen Sinn, du machst dir zuschanden dabei.« »Du weeßt nicht, wat wir machen. Det – hast du nicht erlebt, Eva, det verstehst du nicht, Herbert versteht et ein bißchen. Wat solln wir machen. Ich möcht ihn schon haben, ich möcht in die Kirche gehn und uff die Knie beten, wenn ick ihn kriege.«
Aber das ist alles nicht wahr. Und es ist alles nicht wahr; die ganze Jagd auf Reinhold ist nicht wahr, und das ist ein Stöhnen und eine unheimliche Angst. Eben werden die Würfel über ihn geworfen. Er weiß, wie sie fallen werden. Alles wird
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