Berlin Alexanderplatz: Die Geschichte von Franz Biberkopf (German Edition)
seinen Sinn bekommen, einen unerwarteten schrecklichen Sinn. Das Versteckspiel dauert nicht mehr lange, lieber Junge.
Er belauert Reinholds Wohnung, seine Augen sind für nichts da, er sieht fort und fühlt nichts. Es gehen viele an dem Haus vorbei, einige gehen rein. Er ist selbst reingegangen, reingezogen, ei bloß wegen dem Tschingderada bumderada bum.
Das Haus schlägt ein Gelächter an, wie es ihn dastehn sieht. Es möchte sich bewegen, um seine Nachbarn, Quer- und Seitenflügel zusammenzurufen, um sich den anzusehn. Da steht einer mit einer Perücke und einem künstlichen Arm, ein Kerl, der glüht, ist mit Schnaps gefüllt, steht und brabbelt was.
»Guten Tag, Biberkopfchen. Wir haben den 22.November. Noch immer Regenwetter. Willste dir ein Schnupfen holen, willste nicht lieber in deine geliebte Kneipe gehen, Kognak genehmigen?«
»Rausgeben!«
»Reingeben!«
»Rausgeben den Reinhold!«
»Geh nach Wuhlgarten, hast ein Nervenklapps.«
»Rausgeben!«
Dann arbeitet Franz Biberkopf eines Abends in dem Haus, versteckt Petroleumkanne und Flasche.
»Komm raus, versteckst dich, giftiges Luder, geiler Hund. Hast kein Mut, rauszukommen!«
Das Haus: »Nach wem rufst du, wenn er doch nicht da ist. Komm doch rein, kannst dir doch umsehen.«
»Ich kann nicht in alle Löcher kucken.«
»Der ist nicht hier, wird doch nicht so verrückt sein und hier sein.«
»Gib ihn mir heraus. Es wird dir schlecht gehen.«
»Ich höre immer: schlecht gehen. Kerl, geh nach Hause, schlaf dir aus, hast einen sitzen, das kommt, weil du nischt ißt.«
Am nächsten Morgen gleich hinter der Zeitungsfrau ist er da.
Die Laternen sehen ihn laufen, sie schaukeln sich: »Eia weia, es gibt Feuer.«
Qualm, Stichflammen aus den Bodenluken. Um 7 ist die Feuerwehr da, Franz sitzt da schon bei Herbert und ballt die Fäuste: »Ick weeß nischt und du weeßt nischt, det brauchste mir nich zu sagen, jetzt hat er keine Bleibe, jetzt kann er suchen. Jawoll, angesteckt.«
»Mensch, da wohnt er doch nicht mehr, der wird sich hüten.« »Det war sein Bau, der weeß, wenn et brennt, det war ick. Den haben wir ausgeräuchert, paß auf, wie er jetzt ankommen wird.« »Ick weeß nich, Franzeken.«
Aber Reinhold kommt nicht heraus, Berlin klappert und rollt und lärmt weiter, in den Zeitungen steht nicht, daß sie ihn haben, der ist entkommen, der ist ins Ausland, den kriegen sie nie.
Und da steht Franz vor Eva und heult und biegt sich. »Ich kann nischt machen, und ick muß es aushalten, der kann mir kaputt machen, das Mädel hat er abgemurkst, und ick steh da wie ein Hahnepampen. Son Unrecht. Son Unrecht.«
»Franz, det is doch nich anders.« »Ick kann nischt machen. Ich bin kaputt.« »Warum bist du denn kaputt, Franzeken?« »Ich hab gemacht, wat ick konnte. Son Unrecht, son Unrecht.«
Da gehen die beiden Engel neben ihm, Sarug und Terah sind ihre Namen, und sprechen miteinander, Franz steht im Gedränge, geht im Gedränge, er ist stumm, sie aber hören ihn wild heulen. Bullen gehen vorbei auf Streife, sie erkennen Franz nicht. Zwei Engel gehen neben ihm.
Warum gehen zwei Engel neben Franz, und was ist das für ein Kinderspiel, wo gehen Engel neben einem Menschen, zwei Engel am Alexanderplatz in Berlin 1928 neben einem ehemaligen Totschläger, jetzigen Einbrecher und Zuhälter. Ja, diese Geschichte von Franz Biberkopf, von seinem schweren, wahren und aufhellenden Dasein ist nun so weit vorgeschritten. Deutlicher und deutlicher, je mehr sich Franz Biberkopf bäumt und schäumt, wird alles. Es naht der Punkt, wo alles erhellt wird.
Die Engel sprechen neben ihm, ihre Namen sind Sarug und Terah, und ihr Gespräch lautet, während Franz sich die Auslagen bei Tietz betrachtet:
»Was meinst du, Sarug, was würde geschehen, wenn man diesen Menschen sich überließe, ihn stehen ließe und er würde gefaßt?« Sarug: »Im Grunde würde es nicht viel ausmachen, ich glaube, man wird ihn so oder so fassen, das ist unausbleiblich. Er hat sich drüben das rote Gebäude angesehen, er hat recht, in ein paar Wochen sitzt er drin.« Terah: »Dann meinst du, wir sind eigentlich überflüssig?« Sarug: »Ein bißchen meine ich es, – wenn es uns doch nicht erlaubt ist, ihn hier ganz wegzunehmen.« Terah: »Du bist noch ein Kind, Sarug, du siehst das hier erst ein paar tausend Jahre. Und wenn wir den Menschen hier wegnehmen und ihn woanders hin versetzen, in ein anderes Dasein, hat er getan, was er hier tun konnte? Auf 1000 Wesen und Leben, mußt du schon
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