Berlin Alexanderplatz: Die Geschichte von Franz Biberkopf (German Edition)
sie gefallen.
Da lobte ich die Toten, die schon gestorben waren
Schon gegen Abend ist Franz Biberkopf wieder unterwegs. Fünf Sperlinge fliegen auf dem Bayrischen Platz über ihn. Es sind fünf erschlagene Bösewichte, die Franz Biberkopf schon öfter getroffen haben. Sie erwägen, was sie mit ihm machen sollen, was sie über ihn beschließen sollen, wie sie ihn ängstlich, unsicher machen sollen, über welchen Balken sie ihn stolpern lassen wollen.
Der eine schreit: Da geht er. Kuckt, er hat einen falschen Arm, er gibt die Partie noch nicht verloren, er möchte nicht erkannt sein.
Der zweite: Was hat der feine Herr schon alles ausgefressen. Das ist ein Schwerverbrecher, den müßten sie einlochen, dem gehört lebenslänglich. Ein Weib umbringen, mausen, einbrechen, und ein anderes Weib, da ist er auch dran schuld. Wat will er denn jetzt noch?
Der dritte: Der bläst sich uff. Der markiert den Unschuldigen. Der spielt den Anständigen. Kuckt euch das Luder an. Wenn ein Bulle kommt, wollen wir ihm den Hut runterschmeißen.
Der erste nochmal: Wat soll denn son Kerl länger leben. Ich bin im Zuchthaus krepiert nach neun Jahren. Ich bin noch jünger gewesen wie der, da war ich schon tot, da konnte ich nicht mehr piep sagen. Nimm den Hut ab, Affe, nimm deine dämliche Brille runter, bist doch keen Redakteur, du Ochse, du kennst ja nicht mal das Einmaleins, dann setzt du dir ne Hornbrille uff wien Gelehrter, paß uff, wie sie dir kriegen.
Der vierte: Nu schreit doch nicht so. Wat wollt ihr denn mit dem machen. Kuckt euch doch den an, hat einen Kopf, geht auf zwei Beinen. Wir kleinen Spatzen, uffn Hut können wir ihm machen.
Der fünfte: Blafft ihn doch an. Der spinnt, bei dem sitzt eine Schraube locker. Der geht mit zwei Engels spazieren, sein Schatz ist ne Moulage uffm Präsidium, macht doch wat mit dem. Schreit doch.
Da schwirren sie, schreien, schnattern über seinen Kopf. Und Franz hebt seinen Kopf, seine Gedanken sind zerrissen, die Vögel zanken und schimpfen weiter.
Es ist herbstlich, im Tauentzienpalast spielen sie die »Letzten Tage von Franzisko«, fünfzig Tanzschönheiten sind im Jägerkasino, für einen Fliederstrauß darfst du mich küssen. Da findet Franz: Mein Leben ist zu Ende, mit mir ist es aus, ich habe genug.
Die Elektrischen fahren die Straßen entlang, sie fahren alle wohin, ich weiß nicht, wo ich hinfahren soll. Die 51 Nordend, Schillerstraße, Pankow, Breitestraße, Bahnhof Schönhauser Allee, Stettiner Bahnhof, Potsdamer Bahnhof, Nollendorfplatz, Bayrischer Platz, Uhlandstraße, Bahnhof Schmargendorf, Grunewald, mal rin. Guten Tag, da sitz ick, die können mir hinfahren, wo sie wollen. Und Franz fängt an, die Stadt zu betrachten, wie ein Hund, der eine Fußspur verloren hat. Was ist das für eine Stadt, welche riesengroße Stadt, und welches Leben, welche Leben hat er schon in ihr geführt. Am Stettiner Bahnhof steigt er aus, dann zieht er die Invalidenstraße lang, da ist das Rosenthaler Tor. Fabisch Konfektion, da hab ick gestanden, ausgerufen, Schlipshalter vorige Weihnachten. Nach Tegel fährt er mit der 41. Und wie die roten Mauern auftauchen, links die roten Mauern, die schweren Eisentore, ist Franz stiller. Das ist von meinem Leben, und das muß ich betrachten, betrachten.
Die Mauern stehen rot, und die Allee zieht davor lang, die 41 fährt dran vorbei, General-Pape-Straße. West-Reinickendorf, Tegel, Borsig hämmert. Und Franz Biberkopf steht vor den roten Mauern, geht auf die andere Seite, wo die Kneipe ist. Und die roten Häuser hinter den Mauern fangen an zu zittern und zu wallen und die Backen aufzublasen. An allen Fenstern stehen Gefangene, stoßen die Köpfe gegen die Stangen, die Haare sind ihnen auf ein halb Millimeter geschoren, elend sehen sie aus, mit Untergewicht, alle Gesichter sind grau und struppig, sie rollen die Augen und sie klagen. Da stehn Mörder, Einbruch, Diebstahl, Fälschung, Notzucht, die ganzen Paragraphen, und klagen mit grauen Gesichtern, da sitzen sie, die Grauen, jetzt haben sie Miezen den Hals eingedrückt.
Und Franz Biberkopf irrt um das riesige Gefängnis, das immer zittert und wallt und nach ihm ruft, über die Äcker, durch den Wald, wieder weg auf die Straße mit den Bäumen.
Dann ist er auf der Straße mit den Bäumen. Ich hab Miezen nicht umgebracht. Ich hab es nicht getan. Ick hab hier nischt zu suchen, dat is vorbei, ick hab mit Tegel nischt zu tun, ick weeß nich, wie alles gekommen is.
Es ist schon abends 6, da sagt sich Franz,
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