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Berlin Alexanderplatz: Die Geschichte von Franz Biberkopf (German Edition)

Berlin Alexanderplatz: Die Geschichte von Franz Biberkopf (German Edition)

Titel: Berlin Alexanderplatz: Die Geschichte von Franz Biberkopf (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alfred Döblin
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Volke zum 1. Advent: Zertrümmert endlich euer Truggebilde und straft, die euch in Gauklerspielen wiegen! Dann kommt der Tag, da steigt vom Kampfgefilde mit ihres Rechtes Schwert und blankem Schilde die Wahrheit auf, der Feinde zu obsiegen.
    »Während diese Zeilen geschrieben werden, tagt die Verhandlung gegen die Ritter vom Reichsbanner, denen eine etwa 15–20fache Übermacht derartige Äußerungen sowohl ihres programmäßigen Pazifismus als ihres gesinnungsmäßigen Mutes gestattete, daß sie eine Handvoll Nationalsozialisten überfielen, niederschlugen und dabei unsern P. G. Hirschmann in viehischster Weise töteten. Sogar aus den Aussagen der Angeklagten, die von Rechts wegen die Erlaubnis und von Partei wegen vermutlich den Befehl haben, zu lügen, geht hervor, mit welch vorsätzlicher Roheit, die das zugrunde liegende System deutlich offenbart, hier vorgegangen wurde.«
    »Wahrer Föderalismus ist Antisemitismus, Kampf gegen das Judentum ist auch Kampf für die Eigenstaatlichkeit Bayerns. Schon lange vor Beginn war der große Mathäser Festsaal dicht gefüllt, und immer neue Besucher drängten nach. Bis zur Eröffnung der Versammlung erfreute unsere stramme S. A. Kapelle mit dem schneidigen Vortrag flotter Märsche und Weisen. Um achteinhalb Uhr eröffnete P. G. Oberlehrer die Versammlung mit einer herzlichen Begrüßung und erteilte dann dem P. G. N. Walter Ammer das Wort.«
    In der Elsasser Straße die Brüder lachen sich schief, wenn er mittags antritt in der Kneipe, die Binde vorsichtigerweise in der Tasche, sie ziehen sie ihm raus. Franz sägt sie ab.
    Dem arbeitslosen jungen Schlosser sagt er, und der setzt seine große Molle vor Staunen ab: »Also, du lachst mir aus, Richard, vielleicht warum? Weil du verheiratet bist? Du bist einundzwanzig und deine Frau ist achtzehn, und was hast du gesehn vom Leben? Nischt weniger drei. Dir sage ich, Richard, wenn wir uns mal von Mädels unterhalten, wo du auch einen kleinen Jungen hast, da sollst du recht haben wegen dem Schreihals. Was aber sonst? Nanu.«
    Der Schleifer Georg Dreske, 39 Jahre alt, jetzt ausgesperrt, schwenkt Franzens Binde. »Auf der Binde, Orge, kuck sie dir nur genau an, da steht nichts drauf, was man nicht verantworten kann. Ich bin doch auch getürmt draußen, Mensch, genau wie du, habe ich auch gemacht, aber was ist denn nachher gewesen. Ob einer ne rote Bauchbinde hat oder ne goldene oder ne schwarzweißrote, davon schmeckt die Zigarre auch nicht besser. Auf den Tabak kommt es an, alter Junge, Oberblatt, Unterblatt und richtig gewickelt und getrocknet und woher. Sag ich. Was haben wir denn gemacht, Orge, sag doch mal.«
    Der legt ganz ruhig die Binde vor sich auf den Schanktisch, schluckt sein Bier, spricht sehr zögernd, manchmal stottert er, feuchtet sich öfter an: »Ich seh dich bloß an, Franz, und ich sage bloß und ich kenn dich doch schon lange von Arras und von Kowno, und sie haben dich schön eingeseift.« »Wegen die Binde, meinst du?« »Und wegen alles. Laß man. Das hast du nich nötig, so unter die Menschen rumzulaufen.«
    Nun steht Franz auf, schiebt den jungen Schlosser Richard Werner mit dem grünen Schillerkragen beiseite, wo der ihn grade was fragen will: »Nee, nee, Richardchen, bist ne gute Haut, aber das sind hier Männersachen. Weil du Wahlrecht hast, kannst du zwischen mir und Orge noch lange nicht mitreden.« Dann steht er nachdenklich neben dem Schleifer am Schanktisch, der Wirt in der großen blauen Schürze steht innen vor dem Kognakgestell aufmerksam gegenüber, die dikken Hände in dem Spülkasten. »Also Orge, was war mit Arras?« »Was soll damit sein? Weißt du alleine. Und warum du getürmt bist. Und dann die Binde. Mensch, Franz, lieber häng ich mir daran auf. Dir haben sie wirklich eingeseift.«
    Franz hat einen sehr sicheren Blick, hält den Schleifer, der stottert und den Kopf wirft, fest im Auge: »Das mit Arras will ich noch wissen. Wolln wir noch befühlen. Wenn du bei Arras warst!« »Du spinnst wohl, Franz, will mal gar nichts gesagt haben, du hast wohl einen sitzen.« Franz wartet, denkt, ich werd ihn schon reinlegen, der tut, als versteht er nichts, der spielt den Oberschlauen. »Also natürlich, Orge, bei Arras sind wir natürlich gewesen, mit Arthur Böse und Bluhm und dem kleinen Feldwebelleutnant, wie hieß der eben noch, der hieß so komisch.« »Hab ich vergessen.« Laß den reden, der hat einen sitzen, die andern merkens auch. »Warte mal, wie der hieß, Bista oder Biskra oder so

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