Berlin Alexanderplatz: Die Geschichte von Franz Biberkopf (German Edition)
blicken auf, lächeln.
Franz ist ein Mann von Format,
er weiß, was er sich schuldig ist
Am Abend wird Franz richtig bei Henschke rausgeschmissen. Er tippelt allein an um 9, kuckt nach dem Vogel, der hat schon den Kopf unter dem Flügel, sitzt in der Ecke auf der Stange, daß son Tierchen nicht runterfällt im Schlaf; Franz tuschelt mit dem Wirt: »Wat sagen Sie zu det Tierchen, det schläft Ihnen bei dem Radau, was sagen Sie, det ist großartig, muß det müde sein, ob dem der viele Qualm hier guttut, für sone kleine Lunge?« »Det kennt gar nichts anderes bei mir, hier ist immer Rauch, in der Kneipe, heut ist noch dünn.«
Dann setzt sich Franz: »Na, ich werd mal heut nicht rauchen, sonst wirds noch zu dicke, und ein bißchen machen wir nachher auf, wird schon nich ziehen.« Georg Dreske, der junge Richard und drei andere setzen sich an einem Tisch gegenüber separat. Zwei sitzen bei, die kennt Franz nicht. Mehr sind nicht im Lokal. Wie Franz reinkam, war großer Spektakel und Reden und Schimpfen. Sofort, wie er die Türe aufmacht, werden sie leiser, die beiden Neuen, kucken oft zu Franz rüber, bücken sich über den Tisch, dann lehnen sie sich frech zurück, prosten sich zu. Wenn die schönen Augen winken, wenn die vollen Gläser blinken, dann ist wieder, wieder mal ein Grund zu trinken. Henschke, der Wirt mit der Glatze, macht sich am Bierhahn und Spülbecken zu tun, er geht nicht raus wie sonst, er hat da immer was zu murksen.
Dann wird mit einemmal die Unterhaltung am Nebentisch laut, der eine Neue führt das große Wort. Der will singen, dem ist es hier zu ruhig, ein Klavierspieler ist auch nicht da; Henschke ruft herüber: »Für wen denn, das wirft das Geschäft nicht ab.« Was sie singen wollen, weiß Franz schon, entweder die »Internationale« oder »Brüder, zum Lichte, zur Freiheit«, falls sie nicht was Neues haben. Es geht los. Die drüben singen die Internationale.
Franz kaut, denkt: die meinen mir. Können sie haben, wenn sie bloß nicht soviel rauchen. Wenn sie singen, rauchen sie nicht, das schadet dem kleinen Tier. Daß der alte Georg Dreske sich mit solchem Grünzeug zusammensetzt und nicht mal zu ihm rüberkommt, hätt er auch nicht für möglich gehalten. Son oller Stiebel, ist verheiratet, n ehrlicher Stiebel, und sitzt bei det junge Gemüse und hört sich die ihr Geschnatter an. Der eine Neue ruft rüber: »Na, wie hat dir das Lied gefallen, Kollege?« »Mir, gut. Ihr habt Stimmen.« »Kannst doch mitsingen.« »Ich eß lieber. Wenn ich fertig bin mit Essen, sing ich mit oder singe auch was.« »Gemacht.«
Sie unterhalten sich weiter, Franz ißt und trinkt gemütlich, denkt an Lina und daß das Vögelchen im Schlaf nicht abkippt und sieht rüber, wer da eigentlich Pfeife raucht. Kasse hat er heute ganz schön gemacht, aber kalt wars. Von drüben verfolgen immer welche, wie er ißt. Die haben wohl Furcht, ich werd mir verschluckern. Es hat mal einen gegeben, der hat eine Wurststulle gegessen, und wie sie im Magen war, hat sie sich besonnen und ist nochmal raufgekommen in den Hals und hat gesagt: war kein Mostrich bei! und dann ist sie erst richtig runtergegangen. Das macht die richtige Wurststulle, die wo von guten Eltern ist. Und wie Franz fertig ist und sein Bier hintergießt, richtig ruft der schon rüber: »Nu, wie ist, Kollege, willst du uns nu was vorsingen?« Die bilden wohl einen Gesangverein, können wir Eintritt nehmen, wenn sie singen, rauchen sie nicht. Bei mir brennts nicht. Was ich verspreche, wird gehalten. Und Franz denkt nach, indem er sich die Nase wischt, das tropft, wenn man ins Warme kommt, ziehen hilft nicht, er denkt, wo Lina bleibt, und soll ich mir noch ein Paar Würstchen genehmigen, ich nehme aber zu sehr zu, was soll man denen denn vorsingen, die verstehen ja doch nichts vom Leben, aber versprochen ist versprochen. Und plötzlich irrt durch seinen Kopf ein Satz, eine Zeile, das ist ein Gedicht, das hat er im Gefängnis gelernt, die haben es öfter aufgesagt, es lief durch alle Zellen. Er ist gebannt im Augenblick, sein Kopf ist von der Hitze warm und rot und hat sich gesenkt, er ist ernst und gedankenvoll. Er sagt, die Hand am Seidel: »Ein Gedicht weeß ich, aus dem Gefängnis, ist von einem Sträfling, der hieß, wart mal, wie der hieß, das war Dohms.«
Das war er. Ist schon raus, ist aber ein schönes Gedicht. Und er sitzt allein am Tisch, Henschke hinter seinem Spülbecken und die andern hören zu, es kommt keiner rein, der Kanonenofen kracht.
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